Gier (Ein Paul-Kalkbrenner-Thriller) (German Edition)
den Raum verlassen.
»Ach«, rief Dossantos ihr hinterher, »sag dem Koch doch bitte, er kann das Essen in etwa einer Stunde servieren.«
»Ja, ich richte es ihm aus.«
Der Reporter schaltete sein Diktiergerät ein. »Reden wir also über Ihr soziales Engagement.«
Dossantos rückte die Goldkette mit einer lässigen Geste auf seiner Brust zurecht. »Gerne, deshalb sind Sie ja hier.«
»Morgen wird die Integrationsstätte für Migrantenkinder in Neukölln eröffnet. Sie gehören …«
»… zu den Leuten, die diese Einrichtung ermöglicht haben, ja.«
»Wie es heißt, haben Sie 500000 Euro gespendet. Das ist …«
»… das Mindeste, was ich tun kann. Wenn sich schon der Staat aus der Verantwortung stiehlt, dann … na ja … Wir haben ja gerade erst gesehen, wohin es führt, wenn wir unseren Nachwuchs, vor allem nicht deutschstämmige Kinder und Jugendliche, sich selbst überlassen.«
»Auch Sie stammen nicht aus Deutschland.«
»Und ich komme aus einfachen Verhältnissen. Ich weiß, wie sich Armut anfühlt. Gerade wenn man ein Kind in einem fremden Land ist.«
»Erzählen Sie mir von Ihrer Kindheit.«
»Nun, meine Eltern haben bis Anfang der 50er Jahre in Portugal gelebt. Es ging ihnen so schlecht, dass mein Vater hoffte, an einem anderen Ort besser für seine Frau und seinen Sohn sorgen zu können. Ich war zwei Jahre alt, als er seine Freunde, Verwandten und alles, was ihm lieb geworden war, hinter sich zurückließ und mit uns nach Deutschland ging. Zuerst arbeitete er als Bergmechaniker unter Tage. Wir lebten in einer der Zechenkolonien des Ruhrgebiets. Trotzdem blieb die finanzielle Situation meiner Eltern miserabel, die Haushaltskasse war ständig leer, die Ansprüche waren dementsprechend niedrig. Wir lebten in Armut, waren nur reich an Erinnerungen und den Traditionen unseres Heimatlandes. Ich weiß noch, wie gerne meine Mutter
La Folia
hörte, einen portugiesischen Volkstanz aus dem 16. Jahrhundert. Wann immer es ihr schlecht ging, hörte sie Musik aus ihrer Heimat. Das machte sie glücklich.«
Leise versuchte Dossantos die Melodie zu summen, doch es war zu viel Zeit vergangen, seit er das Stück zuletzt gehört hatte; es wollte ihm nicht gelingen.
»Als ich alt genug war, sollte ich in die Fußstapfen meines Vaters als Bergmechaniker treten«, erzählte er weiter. »Dagegen habe ich mich gewehrt. Erfolgreich. Stattdessen schaffte ich das Abitur, studierte und wollte Sportlehrer werden. Ich betrieb Kampfsport, viel und ausdauernd. Man gab mir, einem Migrantensohn, sogar ein Stipendium, was zur damaligen Zeit höchst ungewöhnlich war. Ich war schon als Jugendlicher ein Siegertyp, brachte es bis zum Landesmeister. Zeitungen haben schon vor vielen Jahren über mich berichtet.«
Dossantos lachte. Er hielt sich seinen Bauch. In den letzten Jahren hatte er zugenommen, aber das empfand er nicht als Schande. Es war ein Zeichen dafür, dass es ihm gut ging. In Deutschland sagte man dazu:
Wohlstandsbauch
. Eine schöne Bezeichnung. Es war die einzige Zügellosigkeit, die er seinem Körper erlaubte. Die grauen Haare färbte er braun, die Falten im Gesicht ließ er sich regelmäßig wegspritzen.
Nach den sportlichen Höhenflügen war er in Berlin in einem anderen Metier zu Erfolg und Reichtum gekommen. Aber das war eine andere Geschichte, die keine Rolle spielte. Nicht im Hier und Heute und ganz sicher nicht in diesem Interview. Sie war Vergangenheit.
Er war ein erfolgreicher Geschäftsmann, der über zahllose Kontakte verfügte, eine Menge Einfluss besaß und deshalb respektiert wurde. »Weil ich heute über das Geld verfüge, ist es meine Verpflichtung, den jungen Menschen, die wie ich damals auf der Straße stehen, zu helfen, so wie man mir damals geholfen hat. Ich halte das für ein ehrenhaftes Unterfangen.«
»Also verstehen Sie sich tatsächlich als Mann der Ehre?«
»Jetzt benutzen Sie von Hirschfeldts Worte!« Dossantos amüsierte sich. »Aber wenn er das so sieht, ja, dann lasse ich mir diese Bezeichnung gern gefallen.«
»Haben Sie keine Angst, dass er Ihnen …«
»Nein«, schnitt Dossantos dem Reporter das Wort ab. Mehr sagte er nicht, und auch Sackowitz schwieg.
In dem großen Garten hinter der Finca machte sich der Gärtner gerade daran, einige Kiefern zu stutzen. Ein Stück weiter, an der hohen Mauer, die Dossantos’ Anwesen umgab, patrouillierten zwei Sicherheitsmänner mit Schäferhunden. Zwei weitere Bodyguards behielten den vorderen Teil des Grundstücks im Auge.
Schon
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