Gier (Ein Paul-Kalkbrenner-Thriller) (German Edition)
ist …«, er nahm Käthe Maria an die Hand, »… krank.«
Der Mann sah aus, als wollte er auf der Stelle im Erdboden versinken. Er nuschelte etwas. Es klang wie: »Meine Frau … Also, wissen Sie … Sie will nicht mehr …« Dann wurde ihm klar, dass er ihnen für sein Treiben keinerlei Rechenschaft schuldig war. Schnell ging er weiter und winkte sich ein Taxi heran.
Kalkbrenner zog seine Mutter zurück zum Auto. Wie viel Zeit war vergangen, seit er selbst zum letzten Mal mit Ellen geschlafen hatte? Er konnte sich nicht daran erinnern. Seit ihrer Trennung hatte er mit keiner Frau mehr Sex gehabt. Dabei war sein Verlangen nie erloschen, er hatte ihm nur nicht nachgegeben. Allerdings hatte sich auch nie eine Gelegenheit dazu ergeben.
Unwillkürlich erinnerte er sich an seine Frau, wie sie heute Morgen nur mit Pantoletten und Bademantel bekleidet vor der Couch gestanden hatte. Er dachte an seine Empfindungen, diesen kleinen Funken Hoffnung, der sich in ihm entzündet hatte. Auf einmal hatte er auch das Abendessen vor Augen, ihre Bluse, die ein verführerisches Dekolleté offenbarte. Doch am meisten erregte ihn immer noch ihr Lächeln. Er sah ihr in die Augen. Aber es war Judith, die in seinen Gedanken den Blick erwiderte.
»Fahren wir endlich heim?«, holte ihn die Stimme seiner Mutter wieder ins Hier und Jetzt.
43
»Ja, ja«, sagte Dossantos und verfolgte noch aus dem Augenwinkel, wie David sich vom Stuhl erhob.
Geht das nicht ein bisschen schneller!
, wollte er noch schimpfen.
Dann ergriff einer der beiden Neuankömmlinge das Wort. »Das ist mein Bruder Miroslav.« Er wies auf die Gestalt neben ihm. Das hakennasige, spitze Gesicht passte so gar nicht zum edlen Anzug. »Und ich bin Vladimir. Freunde dürfen mich auch Vlad nennen. Vlad wie Dracula, der Blutsauger.« Sein Feixen reichte von einem Ohr des kantigen Schädels bis zum anderen. »Du kennst uns, oder?«
»Ich habe von euch gehört.« In einschlägigen Kreisen hieß es, dass die beiden Brüder die Köpfe eines russischen Syndikats in Berlin seien. Schenkte man den Gerüchten darüber hinaus Glauben, konnten sie sich auf die eine oder andere schützende Hand in der russischen Regierung verlassen.
»Georgij sagte, du wolltest mit uns reden?«
»Wie wäre es, wenn ihr euch erst einmal entschuldigt?« Das war Samuel. Seine Stimme schwoll so stark an, dass nun auch die allerletzte Unterhaltung im Restaurant verstummte. »Nach eurer Aktion im
Apollo
wäre das wohl das Mindeste.«
Vlad beachtete Samuel nicht. »Man erzählt sich, dein Sohn wäre ein kleiner Hitzkopf.«
»Nur, wenn man mich reizt«, erwiderte Samuel.
Vlad hielt den Blick immer noch unverwandt auf Dossantos gerichtet. »Uns sollte man auch nicht reizen.«
»Samuel«, sagte Dossantos, ohne die Russen aus den Augen zu lassen. »Bitte teile dem Koch mit, dass wir noch zwei weitere Gäste haben.«
Samuel rührte sich nicht vom Fleck.
»Bitte, Samuel, zweimal Bacalhau für unsere Gäste.«
Das Gesicht seines Sohnes lief vor Wut rot an.
»Bitte.«
Samuel gab sich für den Moment geschlagen und drehte sich schweigend um. Moussa folgte ihm in die Hinterräume des Restaurants. Dossantos selbst sah wieder zu Miroslav und Vlad. »Fühlt euch von mir zum Essen eingeladen.«
»Eine freundliche Geste«, lobte Vlad. »Aber dein Sohn muss noch sehr viel lernen.«
»Es tut mir leid. Manchmal ist er ein bisschen ungestüm.«
»Das ist gefährlich.«
Dossantos antwortete nicht. Auch Boccachi sagte keinen Ton. Aber das Aufeinandertreffen mit den Russen war eine Situation, in der sein Freund ihm nicht helfen konnte. Diesmal war Dossantos selbst gefordert: sein Geschick, seine Besonnenheit und sein Gespür für das richtige Wort zum richtigen Zeitpunkt. Oder für das Schweigen.
Vlad lehnte sich zurück, als sein Bruder Miroslav zu sprechen anhob: »Man erzählt sich, du wärst ein sehr engagierter Mann. Diese Einrichtung in Neukölln zum Beispiel. Die soll maßgeblich auf dein Bestreben hin entstanden sein. Dafür zollen wir dir Respekt, denn eine Einrichtung wie diese hilft auch unseren Landsleuten, denen es in Deutschland schwerfällt, sich zu integrieren.«
»Das war meine Absicht.«
»Man erzählt sich außerdem, du wärst sehr erfolgreich. Als Geschäftsmann.«
Dossantos atmete durch. Allmählich kehrte wieder Normalität in den Betrieb des Restaurants ein. »Richtig, als Geschäftsmann.«
Miroslav verschränkte die Arme vor der Brust. »Wir sind ebenfalls Geschäftsmänner.«
»Wir
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