Gier (Ein Paul-Kalkbrenner-Thriller) (German Edition)
würde die Hauptstadt endlich wieder von der CDU regiert werden. Daran gab es keinen Zweifel mehr.
Immer neue Hochrechnungen flackerten über die Leinwand und die Fernseher, die überall im großen Eingangsbereich, unterhalb der Büste des ersten Bundeskanzlers der Republik, aufgestellt worden waren.
Doch während an den Tischen bereits getrunken, gegessen, palavert und gefeiert wurde, hatten sich Frieder und Karl-Edmund in eine Ecke verzogen, um über das peinliche Foto zu reden.
»War das gestern die Wahrheit?«, schrie von Hirschfeldt gegen den Lärm an. »Hast du mit deinem Sohn gesprochen?«
»Das habe ich dir doch schon gesagt.«
»Und wie hat er reagiert?«
Hönig schnaufte schwer.
Frieder verstand.
»Ich wollte dich nicht beunruhigen«, sagte Hönig, »einen Tag nach der erfreulichen Begegnung mit der Kanzlerin und einen vor den Wahlen.«
»Schönen Dank auch. Jetzt mache ich mir erst recht Sorgen.«
»Das brauchst du nicht.«
»Warum? Hat Lars inzwischen seine Meinung geändert?«
»Ich werde mir was überlegen. Notfalls muss er noch einmal in Therapie.«
»Das wird nur etwas bringen, wenn er es selbst will.«
»Das erste Mal wollte er ja auch.«
»Mag sein«, sagte von Hirschfeldt und setzte schnell ein professionelles Lächeln auf, weil eine Gruppe von ehrenamtlichen Wahlhelfern ihren Tisch passierte. Kaum waren sie vorbei, verfinsterte sich seine Miene erneut. »Aber gestern hatte ich nicht den Eindruck, dass er darauf wieder Lust verspürt.«
»Was soll ich denn dann machen?«
»Herrgott, reiß dich erst mal am Riemen«, fluchte Frieder. »Du bist bald der neue Fraktionschef unserer Partei und jammerst herum wie ein kleines Kind.« Er schlug mit der flachen Hand auf die Zeitung ein. »Was meinst du, wie macht sich so was in der öffentlichen Wahrnehmung?«
Hönig wusste, was sein Freund meinte:
die Familie, die Partei, die Kanzlerin.
»Wir wollen die Probleme der Leute, der Gesellschaft lösen, aber unsere eigenen kriegen wir nicht in den Griff?«
Schmücker, Frieders persönlicher Referent, trat an den Tisch. »Was macht ihr denn noch hier? Ihr müsst rüberkommen.«
»Gleich!«, blaffte von Hirschfeldt ihn an.
»Frieder, die Ergebnisse aus deinem Wahlbezirk Grunewald treffen jetzt ein.«
»Dann halte sie eben noch mal zurück.«
Plötzlich stand auch Ehrenstein neben ihnen. »Hört endlich auf zu diskutieren. Heute wird nur noch gefeiert. Kommt mit. Die Leute wollen Sieger sehen!«
Frieder sah noch einmal Karl-Edmund an. »Wir haben uns verstanden, oder? Du bekommst die Sache in den Griff – keine weiteren Schlagzeilen über deinen Sohn!«
»Ja, natürlich, ich habe verstanden.«
»Du sollst das nicht nur verstehen, sondern auch dementsprechend handeln. Und ich meine das ernst.«
Frieder richtete seinen Anzug und strebte mit schnellem Schritt der Bühne entgegen. Hönig folgte ihm mit hängenden Schultern. Dann hielt von Hirschfeldt noch einmal inne, als hätte er etwas Wichtiges vergessen. »Wo ist dein Sohn eigentlich heute?«
»Auf jeden Fall nicht hier.«
»Er wird auch nicht auftauchen, oder?«
»Nein«, sagte Hönig, ohne lange darüber nachzudenken.
»Dann komm.« Frieder griff nach seiner Hand. »Lass uns den Leuten die Gewinner präsentieren.« Wieder strahlte er sein professionelles Lächeln. Das Lachen eines Siegers. Hönig betrat zwar an seiner Seite die Bühne, aber als Sieger fühlte er sich ganz und gar nicht.
42
Während Kalkbrenner durch den Nieselregen stadteinwärts fuhr, funkte er Berger an. Sein Kollege ließ ihn wissen, dass er schon mit zwei der vier Mitarbeiterinnen von
MaxiClean
gesprochen hatte, die für die Berthold-Hauptschule eingeteilt waren.
»Und?«
»Einen Moment.« Papierrascheln am anderen Ende. »Warte.« Stille. Noch mehr Tohuwabohu. Dann: »Eine wusste überhaupt nicht, wer Brodbeck war, die andere hatte bis heute nicht mitbekommen, dass ein Lehrer an der Schule erschossen wurde. Sie ist schwanger und seit Dienstag krankgeschrieben. Den beiden anderen telefoniere ich zurzeit hinterher. Auch den Chef der Reinigungsfirma möchte ich mir noch einmal vorknöpfen.«
»Gibt es in der Personalliste von
MaxiClean
eine Person mit den Initialen K und N?«
Papier flatterte um den Hörer herum. »Nein.«
»Wie sieht es auf der Personalliste des Schulkollegiums aus?«
»Warte.« Minuten verstrichen, bis Berger endlich sagte: »Nein, keiner mit K und N
.
Was soll denn mit den Initialen sein?«
»Ich war gerade bei Judith …«,
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