Gier (Ein Paul-Kalkbrenner-Thriller) (German Edition)
einige Male zu Besuch, bis er endgültig hierblieb. Seine kriminelle Karriere begann mit Drogen, Waffen, Zuhälterei – schon damals vor allem Prostitution. Ein paarmal wurde er erwischt, saß auch einige Monate. Aber von Mal zu Mal wurde es schwerer, an ihn heranzukommen. Er wurde zu einem misstrauischen, übervorsichtigen Hund und umgibt sich noch heute nur mit absolut loyalen, ihm treu ergebenen Leuten.«
Harenstett entnahm der Akte ein weiteres Foto. Es zeigte die Sorte Mann, Meister-Proper-Frisur, Sonnenbank-Bräune, Bodybuilder-Figur, mit der man nur ungern aneinandergeriet. »Das ist Bruno Posavski. Er ist Dossantos’ rechte Hand. Man könnte auch sagen: der Mann fürs Grobe, den jeder gute Unternehmer in dieser Branche braucht. Dossantos hat ihn vor fast 20 Jahren von der Straße und vom Crack weggeholt. Ohne Dossantos wäre Bruno vermutlich schon lange tot. Überdosis. Bruno ist kein besonders heller Kopf, aber dass er wegen Dossantos noch am Leben ist, das hat er kapiert und dankt es ihm mit bedingungsloser Loyalität. Wenn es sein muss, bis in den Tod.«
Harenstett führte die Tasse zum Mund und nahm überrascht zur Kenntnis, dass sie bereits leer war. Er stellte sie beiseite und zeigte das Bild eines kleinen, gedrungenen, fast glatzköpfigen Mannes im Nadelstreifenanzug. »Irgendwann in den 80ern lernte Dossantos den Italiener Claudio Boccachi kennen. Boccachi hatte in Deutschland Jura studiert – sehr erfolgreich. Er machte Dossantos mit den Tücken, aber auch mit den Schlupflöchern des deutschen Rechtssystems vertraut. Die beiden wurden dicke Freunde, und als solchen wurde ihnen bald klar, auf welche Weise sie für den Rest ihrer Tage Geld verdienen wollten.«
»Noch was zu trinken?« Wie aus dem Nichts stand die Kellnerin wieder vor ihrem Tisch.
Kalkbrenner, der sein Selters noch nicht angerührt hatte, lehnte dankend ab. Berger nahm noch eine Cola, Harenstett orderte ein Bier. Danach zündete er sich eine Zigarette an.
Kalkbrenner meinte sich erinnern zu können, dass der LKA-Beamte ihm bei ihrem letzten Aufeinandertreffen berichtet hatte, mit dem Rauchen aufgehört zu haben. Aber er fragte nicht nach, sondern ließ Harenstett weitererzählen: »Mit Hilfe von Boccachi, der die Kanzlei Boccachi & Partner gründete, nutzten sie die Wirren während der Wende. Jeden freien Winkel, den das deutsche Gesetz bot, schöpften sie bis aufs Äußerste aus: Dossantos unterhielt Bordelle und Nachtclubs unter den raffiniertesten Deckmänteln. Die legendäre
Zimmervermietung
war da noch die einfachste Methode. Andere, raffiniertere Varianten waren die der Gastronomie und Immobiliengeschäfte. Nach der Wende ließ er über
Arbeitsagenturen
billige Frauen aus Osteuropa herbeischaffen, mit denen er die ersten FKK-Clubs etablierte, schäbige Hütten, die als Vereinshäuser deklariert wurden, in denen es für
Mitglieder
Sex zu sensationellen Discountpreisen gab. Später gehörte er mit Studios, Clubs und Partys zu den Vorreitern der SM- und Dominabewegung. Seine Frauen erfüllten den Freiern jeden noch so abwegigen Wunsch.«
Harenstett zog tief an seiner Zigarette. »Einer der Boccachi-Anwälte, David Block, ist außerdem ein Ass im internationalen Wirtschaftsrecht. Er war bei Dossantos’ Unternehmungen für die Geldwäsche verantwortlich. Über verschiedene Banken hat er schmutziges Geld in sauberen Firmen angelegt. Er hatte 12, 13, vielleicht auch 14 Bankdirektoren in verschiedenen Ländern, die ihm halfen, die Transaktionen zu verschleiern. Einige der Banken gehörten Dossantos sogar selbst, natürlich über gut getarnte Umwege. Sie bestanden aus einem Computer und einem Briefkasten, gekauft für ein paar Tausend Euro. Noch heute sorgt Block dafür, dass Dossantos’ Geld sicher auf Banken in Panama, Antigua, bei einem Off-Shore-Holding-Trust auf den Bermudas und auf Grand Cayman liegt. Zudem lagert es auf anonymen Konten in der Schweiz und in Luxemburg.« Harenstett hustete. Als sein Hals sich wieder beruhigt hatte, fügte er hinzu: »Wohlgemerkt: Das alles sind Vermutungen. Vor Jahren gab es vom LKA Organisierte Kriminalität und der Abteilung Wirtschaftsverbrechen eine Sonderkommission, die versucht hat, das internationale Geldwäschesystem von Dossantos zu enttarnen – aber vergeblich. Dieser Block ist zu gerissen.«
»Es gab also nie eine Chance, ihm krumme Geschäfte nachzuweisen?«
»Wenn tatsächlich einmal auch nur der Hauch einer kriminellen Tat ruchbar wurde, ließ sich der
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