Gier (Ein Paul-Kalkbrenner-Thriller) (German Edition)
Irgendwie schaute auch dieses Outfit nicht wirklich nach Umzugsstress aus. Kalkbrenner unterdrückte ein hämisches Grinsen, als er bemerkte, dass die Brandreste die weißen Edeltreter Dr. Salms ruiniert hatten.
Der Kommissar wandte seine Aufmerksamkeit Harenstett zu. Der machte seinem Ruf, nicht gern viele Worte zu verlieren, sondern schnell zur Sache zu kommen, alle Ehre und beschränkte sich auf ein kurzes: »Folgt mir!«
Sie betraten einen großen Raum, in dem das Feuer schlimmer gewütet hatte. An den verkohlten Überresten der Einrichtung war unschwer zu erkennen, dass es sich um die Restaurantküche handelte. Harenstett führte sie in ein Nebenzimmer. Auch hier hing der Geruch von Essen noch in der Luft. Kalkbrenner schluckte. Nein, es war zwar der Gestank von verbranntem Fleisch, aber es handelte sich dabei um menschliches Fleisch!
Der Gerichtsmediziner Dr. Wittpfuhl hockte schon hinter einer großen, hüfthohen Arbeitsplatte aus Stahl. Kalkbrenner holte durch den Mund Luft, dann umschritt er entschlossen den Tresen, und sein Appetit verging ihm endgültig.
Die drei Leichen waren kein magenfreundlicher Anblick. Der Großteil ihrer Körper war versengt. An einigen Stellen war die Haut bis auf die Knochen eingeäschert. An anderen dagegen konnte man noch Stücke der Kleidung sehen, die sich untrennbar mit dem Gewebe darunter verbunden hatte. Jetzt war Kalkbrenner dankbar dafür, daheim noch nichts von den Garnelen probiert zu haben.
»Sie haben nicht gelitten«, sagte Harenstett in einem Ton, der beinahe belustigt klang.
»Woher willst du das wissen?«, fragte Kalkbrenner barsch.
»Das haben sie tatsächlich nicht«, bestätigte Dr. Wittpfuhl. Er deutete mit dem behandschuhten Zeigefinger auf einen der verkohlten Schädel. »Kopfschuss.«
»Sind Sie sicher?«
»Ganz sicher sind wir immer erst nach der Obduktion.«
»Wann?«
Der Mediziner seufzte tief. Asche stob empor, so dass sein Kopf hinter einer dichten Wolke verschwand. »Heute ist Sonntag, und …«
»Wie lange?«
»… und eigentlich habe ich heute Abend Karten für die Deutsche Oper.«
»Gehören die drei zum Personal?«
»Vermutlich. Köche. Küchenhilfen. Oder Kellner.« Berger griff in seine Jackentasche. »Wir haben eine erste Liste der …« Jetzt suchte er in der Innentasche. »Also, wir vernehmen zurzeit das Personal. Aber in dem Chaos ist das nicht so einfach. Wir müssen sie …«
»Eigentlich ist es auch egal, wer die Toten hier sind«, fiel ihm Harenstett ungeduldig ins Wort.
Kalkbrenner drehte fragend den Kopf in seine Richtung.
»Komm mit!«
Sie folgten ihm den Flur entlang. Die Hinterzimmer waren unbeschädigt geblieben, trotzdem war die Spurensicherung in einem der Büros beschäftigt. Von der leitenden Beamtin war nichts zu sehen. Auch das war ungewöhnlich, denn Dr. Franziska Bodde ließ es sich niemals nehmen, einen Tatort höchstpersönlich zu begutachten. Kalkbrenner dachte an seinen Eindruck am gestrigen Samstag. Ob die Kriminaltechnikerin tatsächlich Sorgen hatte?
Er ging in das Büro. In dem Schreibtischsessel hing ein junger Mann, die Pupillen voller Erstaunen auf Kalkbrenner gerichtet. Mitten in seiner Stirn klaffte ein daumengroßes Einschussloch.
»Das ist Samuel Dossantos«, informierte ihn Harenstett.
Kalkbrenner konnte mit dem Namen nichts anfangen, und auch Berger schien ratlos. Nur Dr. Salm nickte wissend mit dem Kopf.
Der LKA-Beamte wies zum Ausgang. »Wir müssen miteinander reden.«
48
»61 Prozent?« Die Anzahl der Stimmen, die von Hirschfeldt in seinem Wahlbezirk Grunewald errungen hatte, übertraf seine kühnsten Erwartungen.
»Wahnsinn!«, rief Berthold Ehrenstein und schüttelte ihm so heftig die Hand, dass sein Schultergelenk schmerzte.
»Mein Gott, das ist es!«, staunte Sadi Vegatowski und hörte gar nicht mehr auf, ihm anerkennend auf die linke Schulter zu schlagen.
Sofort war von Hirschfeldt von Reportern umringt. »Haben Sie damit gerechnet?« Nein, das hatte er nicht. »Fühlen Sie sich in Ihrer Politik bestätigt?« Natürlich, mehr denn je. »Was werden Sie morgen als Allererstes unternehmen?« Aufstehen, frühstücken, danach zur Arbeit gehen.
Bevor noch weitere Fragen auf ihn einprasselten, dröhnten auch schon Fanfaren aus den Lautsprechern. Bunte Ballons lösten sich von der Decke. Luftschlangen und Konfetti regneten auf die Köpfe der Menschen herab.
Auch Anton Heiland, der Spitzenkandidat und designierte Bürgermeister Berlins, marschierte in die Halle und umarmte
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