Gier (Ein Paul-Kalkbrenner-Thriller) (German Edition)
flüsterte. »Und erst recht nicht, wenn die Tür noch offen steht.«
Er hörte mehr, als dass er es sah, wie sie die Tür mit ihrem Stiefelabsatz zurück in den Rahmen drückte. Das Schloss klackte. Im selben Augenblick rastete auch kaltes Metall um seine Handgelenke ein.
Handschellen!
Ein Schaudern ergriff seinen Körper. Er hatte mit allem gerechnet, aber nicht damit. »Ich dachte, wir wollten uns erst einmal nicht mehr sehen?«
»Ich weiß.«
»Was willst du dann hier?«
Ohne Rücksicht auf seine Behinderung wurde er die Stufen hinauf zur Empore gezerrt. »Ich hatte Sehnsucht.«
»Aber wenn dich jemand gesehen hätte – noch darf niemand von uns erfahren.«
»Ich habe aufgepasst.«
»Trotzdem ist es zu gefährlich.«
»Ich dachte, du magst das Risiko.«
Er wurde aufs Bett geworfen und landete auf seinem verkrüppelten Bein. Den Schmerzensschrei unterdrückte er. »Wir sollten es nicht herausfordern.«
Die Knöpfe seines Pyjamas wurden geöffnet. Finger streichelten sanft seine Brust. »Bist du dir sicher?«
Eine Gänsehaut überzog seinen Körper. Seine Stimme war nur noch ein bebendes Wispern. »Ja.« Aber in seinem Kopf klang es wie ein
Nein.
Nicht ohne Verwunderung stellte er fest, dass seine Kopfschmerzen verschwunden waren. Das musste an ihrer Anwesenheit liegen. Und an dem Spiel, ihrem wunderbaren Spiel.
Er wehrte sich nicht, als seine Beine gespreizt und an die Bettpfosten gefesselt wurden. Seine Arme wurden ihm über den Kopf gerissen und ebenfalls an dem Gestell befestigt.
Er schaute zu ihr auf. Sie trug schwarze Stiefel, dazu ein enges Lederkostüm. Der Rock endete knapp über ihren Knien. Sie sah gefährlich aus, und er wusste, dass dieser Eindruck nicht trog. Dennoch zeigte er keine Angst, als sie sich ihm näherte. Sie hob den Rock. Sie trug keine Unterwäsche und spreizte die Beine, so weit der Stoff um ihre Hüften es zuließ.
Er reckte den Kopf nach oben, versuchte, mit der Zunge zwischen ihre Schenkel zu gelangen. Sein Bein protestierte gegen die unbequeme Haltung, aber er ignorierte es. Es störte ihn auch nicht, dass sie seine Pyjamahose in Fetzen riss.
Nackt lag er vor ihr, wehrlos ausgeliefert. Als wollte sie seine Demütigung auskosten, verließ sie das Bett. Er hörte die Absätze ihrer Stiefel auf den Stufen klappern. Es raschelte. Sie suchte etwas in der Schublade, in der sein Spielzeug lag. Als sie wieder bei ihm war, hielt sie eine Peitsche in der Hand.
Mit einem Ruck löste sie die Fesseln, warf ihn auf den Bauch und drosch auf seinen Po ein, bis ihn breite rote Striemen zierten. Dann widmete sie sich seinem Rücken. Anschließend den Oberschenkeln. Heftiger Schmerz schoss durch seinen Körper. Süßer Schmerz. Irgendwann rollte sie ihn wieder zurück und hieb auf seine Hoden. Sein Schwanz stand steif von seinem Körper ab. Sie bespuckte ihn und schimpfte: »Du bist ein Niemand.«
So fühlte er sich.
»Du hast es nicht anders verdient.«
Davon war er überzeugt.
»Du bekommst deine Strafe.«
Er ertrug sie.
62
Als Kalkbrenner das Schulgelände verließ, verspürte er ein Grummeln im Magen. Erst dachte er, es sei der Frust über die Gespräche, die ihn keinen Deut weitergebracht hatten, doch als er die fettigen Fritten von
Bratfritze
roch, wurde ihm bewusst, wie hungrig er war.
Vor dem Imbiss stand sich allerdings die Reportermeute die Beine in den Bauch. In der Hoffnung, ein paar spektakuläre Bilder vom ersten Schultag nach der Tragödie zu erhaschen, hatten sie ihr Lager an der Bude aufgeschlagen. Weil Kalkbrenner nur wenig Lust auf nervige Fragen verspürte, beschloss er, mit knurrendem Magen das Weite zu suchen, und ging zu seinem Wagen zurück.
Unterwegs schaltete er das Radio ein, um herauszufinden, ob die Nachrichtensendungen bereits über den aktuellen Ermittlungsstand berichteten. Stattdessen lief
Frauen regier’n die Welt
von Roger Cicero, eine beschwingte Liebeserklärung an die Frau, an Berlin, an die Missgeschicke des Alltags.
Ein lasziver Blick. Und schon ändert sich deine Politik. Kein Boss und kein Actionheld. Kein Staat und kein Mafiageld. Frauen regier’n die Welt.
Zwei Blöcke weiter, unweit des Hauses, in dem Familie Vurikovici lebte, parkte Kalkbrenner vor einer Döner-Bude und bestellte ein Schawarma. Er hielt wieder Ausschau nach den Kollegen von der Observation, konnte sie jedoch abermals nicht entdecken.
Auf dem kleinen Spielplatz mit dem Stahlzaun gegenüber lungerten Jugendliche herum. Sie waren definitiv zu alt für die
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