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Gier (Ein Paul-Kalkbrenner-Thriller) (German Edition)

Gier (Ein Paul-Kalkbrenner-Thriller) (German Edition)

Titel: Gier (Ein Paul-Kalkbrenner-Thriller) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Krist
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noch ein Anruf.«
    »Und dann?«
    »Lasse ich mich in Sicherheit bringen.«
    Allmählich begriff er. Die Idee war so raffiniert, dass sie fast von ihm hätte sein können. Dennoch verspürte er Angst. »Hältst du das wirklich für eine gute Idee?«
    Sie barg seine Wange in ihrer Hand. »Es ist meine …
unsere
einzige Chance.« Mit den Fingern glitt sie behutsam über sein Kinn. »Vertrau mir.«
    Er genoss die Berührung, so wie er sich vor nicht einmal einer halben Stunde an ihren Schlägen ergötzt hatte. »Ich liebe dich.«
    »Bist du dir da sicher?«
    Er umfasste ihre Schultern, ganz zaghaft, als könnte er sie zerbrechen. »Natürlich bin ich mir sicher. Zum ersten Mal in meinem Leben bin ich glücklich.«
    »Du übertreibst.«
    Er sah sie entgeistert an. Verstand sie denn nicht? Hatte er ihr nicht oft genug von sich erzählt?
    Als kleiner Junge war er für die sportlichen Mitschüler zu krank (er hatte einen angeborenen Fußfehler, ging häufig an Krücken und humpelte noch heute) und für die Mädchen zu hässlich gewesen. Also konzentrierte er sich aufs Abitur und danach auf sein Jurastudium. Noch immer zeigte niemand Interesse an ihm.
    Sein Leben rauschte an ihm vorbei, als sei er nur ein Zuschauer. Es gab keine wirklichen Ziele, stattdessen nur Paragrafen, Gesetze, Urteile. Er promovierte in Wirtschaftsrecht, Fachgebiet Internationales Handelsrecht, und als er seinen Namen auf dem Briefpapier einer kleinen Berliner Kanzlei las, bei der er eine Anstellung bekam, verspürte er erstmals so etwas wie Stolz. Doch über seine Minderwertigkeitskomplexe half ihm dieser erste Erfolg noch nicht hinweg. Stark fühlte er sich nur, wenn er Gesetze und Paragrafen zur Hand hatte. Immerhin: Von seinem Gehalt konnte er sich endlich Frauen leisten, die ihm seine über die entbehrungsreichen Jahre gewachsenen Neigungen erfüllten. In solchen Momenten war er ebenfalls stark. Aber glücklich? Allenfalls befriedigt, und auch das immer nur für einen Augenblick.
    Niemand wusste von seinen Vorlieben. Er hatte sie erfolgreich vor Kollegen und den wenigen
Freunden
verborgen, die ihn für einen Spießer hielten, der mehr von internationalen Märkten, obskuren Währungen und Bankgepflogenheiten verstand als vom wirklichen Leben. Keine Frau wollte viel, geschweige denn lange etwas mit ihm zu tun haben. Er blieb einsam und gewöhnte sich daran. Irgendwie.
    Eines Tages erhielt er das verlockende Angebot der Kanzlei
Boccachi & Partner
. Er fühlte sich geehrt. Die Ernüchterung kam, als er nach einigen Wochen feststellte, dass die Kanzlei sich für ihren größten Klienten, Miguel Dossantos, mehr als einmal über den Rand der Legalität hinausbewegte.
    Nach der ersten Enttäuschung bemerkte Block, wie die Nähe zum kriminellen Milieu die Spannung in seinem ansonsten fast ereignislosen Leben erhöhte.
    Viel Zeit ging ins Land, ohne dass sich irgendetwas änderte. Vor einem Dreivierteljahr traf er sie dann in einem Café. Eigentlich schien sie sich nur für die Tageszeitung zu interessieren, die er gerade las, dann suchte sie das Gespräch. Erst war er skeptisch, weil ihn noch nie jemand in einem Café einfach so in eine Unterhaltung verwickelt hatte (abgesehen von Straßenhändlern, die Kerzen, Seife oder Abonnements irgendwelcher Tageszeitungen an den Mann bringen wollten).
    Aber dann verabredeten sie sich. Und noch einmal. Sie stellte fest:
Du bist anders.
Und dass er etwas in sich tragen würde, das ihn zu einem besonderen Menschen machte. Dabei zeigte sie auf ihren Ring, ein kleiner Ring mit einem »O«. Endlich hatte er jemanden zum Reden gefunden. Jemanden, der ihm sein Vertrauen schenkte und vor dem er sich nicht verstecken musste. Dem er sich selbst schenken konnte, ohne Geheimnisse und Beschränkungen, mit all seinen Neigungen, Bedürfnissen und Wünschen. Seitdem war sein Leben perfekt. Zum ersten Mal begann er Pläne zu schmieden. Richtige Pläne. Und scheute dabei auch das Risiko nicht.
    Sie strich ihm zärtlich durch sein Haar und riss ihn damit aus seinen Erinnerungen. »Und du hast wirklich niemandem von uns erzählt?«
    Jetzt begriff er. »Du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Noch läuft alles nach Plan. Na ja, fast …« Er hüstelte. »Aber niemand weiß über uns Bescheid. Ich schweige wie ein Grab.«
    Zu seinem Entsetzen schaute sie auf die Uhr. »Ich muss los.«
    »Kannst du nicht noch etwas bleiben?«
    »David, wir haben gemeinsam noch so viel Zeit vor uns.«
    Sein Kopf sank ergeben auf die Brust.

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