Gier, Kerstin
am Chronografen, das mit einem
zwölfzackigen Stern verziert war. »Fest steht, dass irgendein Prozess im
Inneren des Chronografen dadurch vollendet wird und etwas in diesem Fach
landet. In den Prophezeiungen ist von der Essenz unter dem Zwölfgestirn oder
auch vom Stein der Weisen die Rede. Die Preziosen werden eins, erfüllt
die Luft der Duft der Zeit, einer bleibt nun für die Ewigkeit.«
»Das ist
das ganze Geheimnis?«, sagte ich enttäuscht. »Wieder mal nur vages, wirres
Zeug.«
»Nun ja,
wenn man alle Hinweise zusammennimmt, ist es eigentlich recht konkret. Heilt alle
Pestilenzen und Gebrechen, unter dem Zwölfgestirn erfüllt sich das Versprechen
- richtig verwendet soll diese Substanz in der Lage sein,
sämtliche Krankheiten der Menschheit zu heilen.
Das klang
doch schon besser.
»Dafür
würde sich der ganze Aufwand allerdings lohnen«, murmelte ich und dachte dabei
an den Geheimhaltungswahn der Wächter und ihre komplizierten Regeln und
Rituale. Unter diesen Umständen konnte man ihre Wichtigtuerei sogar verstehen.
Auf eine solche Wundermedizin lohnte es sich auch schon mal, ein paar Hundert
Jahre zu warten. Und dafür, dass er das alles herausgefunden und überhaupt
erst möglich gemacht hatte, gebührte dem Grafen von Saint Germain durchaus
Respekt und Anerkennung. Wenn er nur nicht so ein unsympathischer Typ wäre ...
»Lucy und
Paul allerdings haben so ihre Zweifel daran, dass der Stein der Weisen wirklich
das ist, was wir glauben sollen«, sagte Lucas, als habe er meine Gedanken
erraten. »Sie sagen, jemand, der nicht davor zurückscheut, seinen eigenen
Urururgroßvater zu ermorden, hat nicht unbedingt das Wohl der gesamten
Menschheit im Auge.« Er räusperte sich. »Hat es aufgehört zu bluten?«
»Noch
nicht, aber es wird schon weniger.« Ich streckte die Hand in die Höhe, um den
Prozess zu beschleunigen. »Und was machen wir jetzt? Soll ich das Ding einfach
mal ausprobieren?«
»Himmel,
das ist doch kein Auto, das man Probe fährt«, sagte Lukas und rang die Hände.
»Warum
nicht?«, fragte ich. »War das nicht genau die Idee daran?«
»Nun ja«,
sagte er und schielte auf den dicken Folianten, den er mitgebracht hatte.
»Eigentlich hast du recht. Wenigstens könnten wir so auf Nummer sicher gehen,
auch wenn wir nicht mehr viel Zeit haben.« Plötzlich war er ganz eifrig. Er
beugte sich vor und schlug die Annalen auf. »Wir müssen darauf achten, dass wir
uns kein Datum aussuchen, an dem du mitten in eine Sitzung platzt. Oder einem
der Villiers-Brüder über den Weg läufst. Die haben in diesem Saal viele, viele
Stunden ihres Lebens elapsiert.«
»Könnte
ich auch Lady Tilney treffen? Allein?« Ich hatte wieder eine Eingebung.
»Irgendwann nach 1912, am besten.«
»Ob das so
klug wäre?« Lucas blätterte in dem Folianten. »Wir wollen die Dinge doch nicht
noch komplizierter machen, als sie sowieso schon sind.«
»Aber wir
dürfen unsere wenigen Chancen nicht verstreichen lassen«, rief ich und dachte
daran, was Leslie mir eingeschärft hatte. Ich sollte jede Gelegenheit nutzen
und vor allem eins tun: Fragen stellen, so viele, wie mir einfielen. »Wer
weiß, wann sich die nächste Möglichkeit ergibt! In der Truhe kann sich auch
etwas anderes befinden und dann komme ich vielleicht gar nicht mehr dazu. Wann
haben wir beide uns das erste Mal getroffen?«
»Am 12.
August 1948, um 12 Uhr mittags«, sagte Lucas, in die Lektüre der Annalen
vertieft. »Das werde ich niemals vergessen.«
»Genau,
und damit du es niemals vergisst, schreibe ich es dir auf«, sagte ich, entzückt
über meine eigene Genialität. Auf meinen Ringbuchblock kritzelte ich:
Für Lord Lucas Montrose -
wichtig !!!!!
12. August 1948, 12 Uhr
Mittag. Alchemielabor. Bitte komm allein.
Gwendolyn Shepherd
Ich riss
das Blatt mit Schwung ab und faltete es zusammen.
Mein
Großvater sah kurz von dem Folianten auf. »Ich könnte dich ins Jahr 1852
schicken, am 16. Februar um Mitternacht. Lady Tilney elapsiert dorthin, und
zwar vom 25. Dezember 1929, neun Uhr morgens«, murmelte er. »Die Arme, nicht
mal Weihnachten konnte sie es sich zu Hause gemütlich machen. Immerhin geben
sie ihr eine Petroleumlampe mit. Hör mal, was hier steht: 12:30 Uhr:
Lady Tilney kehrt gut gelaunt aus dem Jahr 1852 zurück, sie hat im Licht der
Petroleumlampe zwei Häkelschweinchen für den Wohltätigkeitsbasar am
Dreikönigstag fertiggestellt, der dieses Jahr unter dem Motto Landleben steht.« Er drehte
sich zu mir um. »Häkelschweine!
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