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Gier, Kerstin

Gier, Kerstin

Titel: Gier, Kerstin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Smaragdgruen (Liebe geht durch alle Zeiten Bd 3)
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weißen
Strähnen durchzogen und zu einer eher biederen Dauerwellfrisur gestutzt
worden. Trotzdem hatte sie immer noch diese majestätische, unnahbare Haltung,
die auch meine Großmutter auszeichnete. Und sie machte keinerlei Anstalten zu
schreien oder gar mit gezückter Häkelnadel auf mich loszugehen. »Frohe
Weihnachten«, sagte sie.
    »Frohe
Weihnachten«, entgegnete ich etwas verwirrt. Für einen Moment wusste ich nicht
weiter, aber dann nahm ich mich zusammen. »Keine Angst, ich will kein Blut von
Ihnen oder so.« Ich trat aus den Schatten des Vorhangs.
    »Das mit
dem Blut hat sich doch längst erledigt, Gwendolyn«, sagte Lady Tilney ein wenig
tadelnd, als müsste ich das genau wissen. »Ich habe mich übrigens schon
gefragt, wann du kommst. Setz dich doch. Tee?«
    »Nein
danke. Ich habe leider nur ein paar Minuten.« Ich trat noch einen Schritt näher
und reichte ihr den Zettel. »Das hier muss mein Großvater bekommen, damit...
nun, damit alles so passieren wird, wie es passiert ist. Es ist sehr wichtig.«
    »Verstehe.«
Lady Tilney nahm den Zettel und faltete ihn in aller Seelenruhe auseinander.
Sie schien nicht im Mindesten irritiert zu sein.
    »Warum
haben Sie mich erwartet?«, fragte ich.
    »Weil du
mir gesagt hast, ich solle mich bloß nicht erschrecken, wenn du mich besuchst.
Leider hast du nicht gesagt, wann das sein würde, weswegen ich nun schon Jahre
darauf warte, dass du mich doch erschreckst.« Sie lachte leise. »Aber das
Häkeln von Schweinen übt eine ungemein beruhigende Wirkung aus. Um ehrlich zu
sein, man schläft sehr leicht ein vor lauter Langeweile.«
    Mir lag
ein höfliches »Es ist ja für einen wohltätigen Zweck« auf den Lippen, doch als
ich einen Blick in den Korb warf, entfuhr mir stattdessen ein »Oh sind die
süß!«. Und das waren sie wirklich. Viel größer, als ich sie mir vorgestellt hatte,
wie richtige Plüschtiere und ganz lebensecht gearbeitet.
    »Nimm dir
eins«, sagte Lady Tilney.
    »Wirklich?«
Ich dachte an Caroline und griff in den Korb. Die Tiere fühlten sich ganz
flauschig an.
    »Angora-Kaschmir-Wolle«,
sagte Lady Tilney mit einem gewissen Stolz in der Stimme. »Die verwende nur
ich. Alle anderen nehmen Schafswolle - aber die ist kratzig.«
    »Äh ja.
Danke.« Das rosa Schweinchen an meine Brust gedrückt, musste ich mich einen
Augenblick sammeln. Wo waren wir noch gleich stehen geblieben? Ich räusperte
mich. »Wann treffen wir uns das nächste Mal? Also, in der Vergangenheit?«
    »Das war
1912. Von mir aus betrachtet ist es allerdings nicht das nächste Mal.« Sie
seufzte. »Das waren aufregende Zeiten ...«
    »Oh,
Mist!« Mein Magen zog sich schon wieder zusammen wie bei einer Achterbahnfahrt.
Warum zum Teufel hatten wir das Zeitfenster nicht größer gewählt? »Dann wissen
Sie auf jeden Fall mehr als ich«, stieß ich hastig hervor. »Wir haben keine
Zeit für Details, aber ... vielleicht geben Sie mir noch einen guten Ratschlag
mit auf den Weg?« Ich war ein paar Schritte zurückgetreten, hinaus aus dem
Lichtkreis der Lampe Richtung Fenster.
    »Einen
Ratschlag?«
    »Ja! So
was wie: Hüte dich vor...?« Ich sah sie erwartungsvoll an.
    »Vor was?«
Lady Tilney sah genauso erwartungsvoll zurück.
    »Na, das
weiß ich doch nicht! Wovor soll ich mich hüten?«
    »Auf jeden
Fall vor Pastrami-Sandwiches und zu viel Sonnenlicht, das ist nicht gut für
den Teint«, sagte Lady Tilney energisch und dann verschwamm ihr Anblick vor
meinen Augen und ich war zurück im Jahr 1956.
    Pastrami-Sandwiches
- lieber Himmel! Ich hätte besser gefragt, vor wem ich mich
hüten sollte, nicht vor was. Aber nun
war es zu spät. Die Gelegenheit war verstrichen.
    »Was um
Himmels willen ist das denn?«, rief Lucas aus, als er des Ferkels ansichtig
wurde.
    Ja, und
das auch noch: Anstatt jede Sekunde zu nutzen, um Lady Tilney Informationen zu
entlocken, hatte ich mich wie eine Bekloppte auf ein rosa Plüschtier gestürzt.
»Ein Häkelschwein, Grandpa, das siehst du doch wohl«, sagte ich matt und von
mir selbst enttäuscht. »Angora und Kaschmir. Die anderen nehmen alle kratzige
Schafswolle ...«
    »Auf jeden
Fall scheint unser Test funktioniert zu haben«, sagte Lucas kopfschüttelnd. »Du
kannst den Chronografen bedienen und wir können uns verabreden. In meinem
Haus.«
    »Es war
viel zu kurz«, jammerte ich. »Ich konnte gar nichts in Erfahrung bringen.«
    »Immerhin
hast du ... äh ... ein Schwein und Lady Tilney keinen Herzinfarkt. Oder etwa
doch?«
    Ich
schüttelte hilflos den Kopf.

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