Gier nach Blut
Schlüssel ein. »Am besten wird es sein, wenn ich mich in Ihr Zimmer zurückziehe, Ricca. Darf ich?«
»Natürlich.«
»Dann werde ich jetzt gehen.« In diesem Augenblick klingelte es.
»O Gott!« keuchte Elvira, »das wird sie sein. Was mache ich denn jetzt?«
»Öffnen und einlassen.«
»Sie haben Nerven, John.«
Ich zwinkerte ihr zu. »Die brauche ich auch. Und keine Sorge, ich bin in der Nähe.«
»Ja«, sagte sie nur und ging hin, um zu öffnen…
***
Ich war so rasch wie möglich in dem kleinen Zimmer verschwunden. Die Tür hatte ich nicht ganz geschlossen. Sie stand einen winzigen Spaltbreit offen, so daß ich bei einem flüchtigen Hinsehen nicht erkannt werden konnte.
So sollte es auch sein. Ich wollte zunächst den Beobachter spielen und dann eingreifen, wenn es nötig war. Im Zimmer roch es nach Weihrauch.
Den kleinen Metallkessel sah ich neben dem Altar stehen. Die Kerzenflammen waren gelöscht, und von draußen kroch die Dämmerung durch das kleine Fenster in die Kammer.
Ricca saß am Küchentisch. Ihre Enkelin stand an der Tür. Sie wartete auf Anita, ihre Mutter, und ich lauerte ebenfalls. Ich war mittlerweile davon überzeugt, daß diese Person zur anderen Seite gehörte. Das hatte ich den beiden Frauen nur nicht so deutlich gesagt, obwohl ich der Meinung war, daß mich die alte Ricca schon verstanden hatte.
Elvira zog die Tür auf, um ihrer Mutter den Eintritt zu gewähren. Sie berührte die Klinke noch mit der Hand und sagte: »Endlich, Mutter, wir haben auf dich gewartet.« Sie trat einen Schritt zur Seite, schuf den nötigen Platz, so daß Anita Marquez das Zimmer betreten konnte. Zum erstenmal sah auch ich sie.
Mir fiel die große Ähnlichkeit zwischen Mutter und Tochter auf.
Ich konzentrierte mich auf die Frau. Aus Erfahrung wußte ich ja, wie sich Vampire bewegten. Sie gingen zwar auf zwei Beinen, aber nicht so flott wie Menschen. Ihr Gang hatte immer etwas Lauerndes an sich, Abwartendes, aber gleichzeitig wirkte sie wie auf dem Sprung, immer auf den Suche nach Beute.
Elvira schloß die Tür.
Als sie das tat, drehte sich ihre Mutter für einen Moment um. Mir entging das satte Lächeln auf ihren Lippen nicht. Ja, sie war eine Blutsaugerin, auch wenn sie es noch nicht zeigte, denn sie hielt den Mund geschlossen.
»Willst du dich nicht setzen, Mutter?«
»Ja, gleich«, murmelte sie und streifte ihr Kopftuch ab, das sie dann auf eine Kommode legte.
»Du hast eine Freundin getroffen, Mutter?«
»So war es.«
»Wer ist es denn gewesen?«
»Juana Di Santos.«
»Die kenne ich nicht.«
»Ich weiß.« Sie sprach nur wenig und ging auf den Tisch zu, wo Ricca saß und ihre Tochter beobachtete. Die alte Frau ließ den Blick auch nicht von ihr, als sich Anita setzte und ihre Hände auf den Tisch legte. Elvira nahm nicht Platz. Sie blieb in einer gesicherten Entfernung stehen und schaute nur zu, dabei war ihr Blick mißtrauisch geworden. Auch sie spürte, daß ihre Mutter nicht so war wie sonst. Und der Schauder auf ihrer Haut wollte auch nicht verschwinden.
Mutter und Tochter schauten sich an. Es war die Neunzigjährige, die den Gesprächsfaden aufnahm. »Du weißt, Tochter, welch ein Tag heute ist? Du kannst dich erinnern?«
»Ja, die alte Geschichte. Der Streit und der Haß zwischen den beiden Familien und das Versprechen der Sarah Helen Roberts.«
»Genau.«
»Glaubst du daran, Mutter?«
»Ja.«
Anita nickte. »Ich auch mittlerweile.«
»Das weiß ich Kind, und es tut mir sehr, sehr leid um dich.« Tränen rannen plötzlich aus ihren Augen und rollten über die Wangen. Sie wollte nach Anitas Hand fassen, die aber reagierte schneller und zog die Hände zurück. »Es tut mir so leid um dich, Tochter, aber ich habe nicht damit gerechnet, daß es ausgerechnet dich aus unserer Familie als erste erwischen würde.«
»Wie meinst du das?«
»Ich dachte, daß ich es sein würde. Ich hätte es verdient, denn ich bin damals Kind gewesen, wie du weißt.«
Anita Marquez nickte. »Ja, ich kann mich erinnern. Du hast oft genug davon gesprochen. Aber keine Sorge, Mutter, du bist auch noch an der Reihe. Du und Elvira.«
Jetzt war es heraus, und der Klang ihrer Stimme hatte sich bei den letzten Worten verändert. Er war böser und triumphierender geworden.
Ich zog die Tür etwas weiter auf, um besser sehen zu können. Mein Blick fiel auf Anita Marquez. Sie saß am Tisch und hatte ihren Oberkörper leicht nach vorn gebeugt. Sie sah aus wie auf dem Sprung, als wollte sie sich über die
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