Gier
Ralph Dryden und Miriam Hershey.«
»Und Jane Doe?«
»Hat nichts mit der Sache zu tun. Noch nicht. Ich bringe sie in der Gleichung jedenfalls nirgends unter.«
»Müssten wir nicht eigentlich einen eigenen Wagen haben?«
»Ich habe es noch nicht geschafft, einen zu leihen«, gab Hjelm zu. »Und du?«
»Ich habe diesbezüglich keine Befugnisse«, antwortete Bouhaddi.
»Das sagst du nur, um gehorsam zu klingen«, meinte Hjelm.
Corine Bouhaddi lachte auf. »Dafür hast du mich doch.«
Sie waren in Chislehurst im Südosten von London angekommen. Das Taxi glitt die akkurat gepflegten StraÃen des Villenviertels entlang und hielt dann abrupt an. Hjelm und Bouhaddi stiegen aus und schauten auf eine attraktive, aber schlichte Villa, daneben eine Garage. Auf dem Briefkasten stand: »Payne«.
Sie klingelten. Einmal, zweimal, dreimal. Keinerlei Reaktion, keine Bewegung. Der gesamte Villenvorort schien wie in einem Mausoleum zu ruhen.
Dann vernahmen sie plötzlich ein Geräusch. Der kurze Aufschrei eines Kindes irgendwo zwischen der Garage und der Villa. So kurz, dass er vermutlich erstickt worden war.
Paul Hjelm seufzte und klopfte sich kurz auf die Jacke.
»Aha«, sagte er leise. »Albtraumszenario.«
»Wovon redest du?«, flüsterte Bouhaddi.
»Sie sind auf dem Weg«, erklärte Hjelm und deutete kurz auf einen Punkt zwischen der Villa und der Garage.
»Und wie sehen unsere Befugnisse aus?«
»Tja«, antwortete Hjelm. »Das habe ich mit Albtraumszenario gemeint. Ich weià es nicht. Ich weià es verdammt noch mal nicht.«
Er lief lautlos in Richtung Garage und knöpfte seine Jacke auf. Ein Sonnenstrahl lieà das aus Den Haag extra hertransportierte Achselhalfter aufblitzen. Seine Dienstwaffe glänzte. Sie war vollkommen neu.
Er nahm sie zur Hand. Corine tat dasselbe. Sie war unmittelbar hinter ihm.
Hjelm zeigte auf einen Punkt links neben dem Garagentor. Bouhaddi stellte sich, die Waffe an die Brust gedrückt, dort auf. Hjelm stand rechts neben der Garage. Er streckte eine Hand in die Luft, um ihr zu signalisieren, sie solle warten.
Also verharrten beide auf ihren Posten. Es kam Corine Bouhaddi vor, als wäre die Zeit stehen geblieben. Sie erblickte einen Schwarm Zugvögel, der in Pfeilformation über den teilweise bewölkten Himmel zog. Doch es sah aus, als bewegten sich die Vögel gar nicht. Sie schienen dort oben wie festgeklebt, wie auf einem Naturfoto. Corine Bouhaddi sah die stillstehende Pfeilspitze oben am Himmel und ihren ebenfalls unbeweglich dastehenden Chef auf der anderen Seite der Garage, und alles zusammen kam ihr wie ein Stillleben vor.
Doch plötzlich hörte sie ein quietschendes Geräusch, das sie nicht einzuordnen vermochte. Es klang wie ein leidendes Tier. Dann begriff sie, was es war.
Das Garagentor glitt langsam auf.
Sie warf Paul Hjelm einen Blick zu. Er nahm die rechte Hand mit der Waffe hinter den Rücken. Sie sah, wie sich sein Körper auf das Unerwartete vorbereitete, und spürte, wie ihr eigener es ebenfalls tat.
Aus dem zu drei Vierteln geöffneten Garagentor kam langsam ein Auto herausgerollt. Bouhaddi konnte eine Frau auf dem Beifahrersitz und zwei Kinder auf der Rückbank ausmachen, dann sah sie, dass Hjelm sich zum Fahrer hinunterbeugte.
Hjelms Blick war auf Mark Paynes Hände geheftet. Beide umfassten das Steuer. Dann sah er Payne ins Gesicht. Darin spiegelte sich blanke Angst.
Hjelm registrierte, wie Payne mit einem Blick auf seinen rechten Arm begriff, dass er in der hinter dem Rücken verborgenen Hand eine Waffe hielt. Mit der linken Hand deutete Hjelm eine Drehbewegung an, woraufhin Payne das Seitenfenster herunterlieÃ. Er flüsterte zischend: »Bitte, ich habe meine Familie im Wagen.«
Hjelm formte mit seinen Lippen lautlos ein einziges Wort: »Polizei.«
Er sah, wie Payne erleichtert in sich zusammensank. Sachte öffnete der Polizist die Tür, wandte sich an seine Frau und sagte mit angestrengter Furchtlosigkeit: »Es geht ganz schnell, Liebling.«
Während Bouhaddi, die Pistole unsichtbar hinter dem Rücken verborgen, den Wagen umrundete, sah sie, wie Hjelm an seinem Handy herumfingerte. Payne stieg aus, und Hjelm lieà sein Handy wieder in die Innentasche seiner Jacke zurückgleiten und führte Payne um die Garagenecke. Bouhaddi positionierte sich so, dass sie sowohl den Wagen als auch Payne im Blick
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