so weit seid, damit ich beurteilen kann, ob es sich wirklich um einen Fall für die Opcop-Gruppe handelt.«
»Alles wird selbstverständlich so gemacht«, sagte Kerstin Holm zu ihrem unter Hochdruck stehenden Lebenspartner und Strohwitwer.
Damit war die Europol-Videobesprechung beendet. Kerstin und Sara sahen einander an.
SchlieÃlich sagte Sara: »Da haben wir uns ja geradewegs in die Schlangengrube gestürzt.«
Kerstin Holm seufzte, schüttelte den Kopf und tippte eine Nummer in ihr Handy.
»Jon? Der Beschluss steht. Bring den Computer zurück in die Villa. Und sieh zu, dass alles andere ebenfalls wieder in den Originalzustand versetzt wird, einschlieÃlich der Alarmanlage. Beseitigt alle Spuren. Aber seid vorsichtig. Keiner darf euch dort sehen.«
Und dann fügte sie noch hinzu: »Ach ja, sieh nach, ob vor dem Arbeitszimmer ein heruntergefallenes Tablett mit Essensresten liegt.«
Der erste Brief
Von:
Ariadne
Betreff:
Danke!
Datum:
15. März 10:31:38 EST
An:
Phädra
Ich danke Dir so für unser Treffen neulich, meine Liebe, es war phantastisch, Deine Familie wiederzusehen. Die Kinder sind unglaublich groà geworden. Riverdale scheint ihnen gutzutun.
Ich kann unser Wiedersehen nach all den Jahren noch gar nicht ganz fassen â dass wir uns auf dem Spielplatz im Central Park so unverhofft begegnet sind! Wie alt sind Deine Kinder jetzt? Vier und sechs? Fünf und sieben? Und Scott ist trotz des harten Arbeitslebens an der Wall Street das Kunststück gelungen, sich seinen Sex-Appeal zu bewahren. Was machst Du, um ihn zu konservieren? Nein, antworte nicht darauf ...
Wie Du siehst, habe ich eine neue Mailadresse. Nicht nur, damit wir wieder Schwestern sind, Ariadne und Phädra vom platten Land, die einander über die Schwelle in die groÃe weite Welt getragen haben, sondern auch, weil mich gewisse äuÃere Umstände dazu gezwungen haben. Aber dazu später mehr.
Ich freue mich sehr darüber, dass Du inzwischen ein so herrliches Leben führst, liebe Schwester im Geiste. Rein äuÃerlich wirke ich mit meinem »Sex and the City«-Singleleben vielleicht beneidenswert, aber ich finde Dein Leben viel bewundernswerter.
Ich bin so froh darüber, dass Du das schreckliche Ereignis von damals so gut verwunden hast. Du hattest die richtige Entscheidung getroffen. All die harten Jahre in Harvard, was haben wir gebüffelt, unsere waghalsigen Schritte hinein in die brutale Machowelt des Geschäftslebens, unsere Bankkarrieren, die uns in dem bizarren Wolkenkratzer immer weiter nach oben beförderten, und dann â Deine Schwangerschaft.
Die Bilder sind mir noch glasklar in Erinnerung. Das Wartezimmer dieses Abtreibungsarztes. Wie Du laut heulend einfach aufgestanden und davongelaufen bist. Wie ich Dich an diesem schicksalsträchtigen Morgen im Battery Park eingeholt habe und Du, immer noch weinend, erklärt hast, Du könntest Scott nicht hintergehen.
In dem Moment sahen wir das erste Flugzeug.
Wir haben seitdem nicht mehr darüber gesprochen. Vielleicht ist es auch besser so. Wir wissen beide, dass Dein ungeborenes Kind uns das Leben gerettet hat. Und das muss genügen.
Oder nicht? Vielleicht sollten wir doch darüber reden?
Wir saÃen auf der Bank unten an der Fähre nach Liberty Island und wussten, dass die Maschine genau auf Höhe unserer Stockwerke in den Nordturm eingeschlagen war.
Ich werde diese Viertelstunde, in der wir dort saÃen, nie vergessen. Ich habe keine Ahnung, ob wir überhaupt geatmet haben. Ich weià nicht, ob um uns herum Leute waren oder ob wir allein waren. Das Einzige, was sich mit Sicherheit bewegte, und zwar mit hemmungsloser Gleichgültigkeit, waren die Zeiger der Uhr. Sie sprangen gerade um auf neun null drei.
In dem Moment kam das zweite Flugzeug.
Danach warst Du bis zur Entbindung krankgeschrieben, und dann wurdest Du Hausfrau. Ich bin zurück in die Firma, sobald sie wieder auf die Beine gekommen war. Es war kein gutes Gefühl, auf Kosten der Toten Karriere zu machen. Ich wurde mit einem Schlag vom Junior zum Senior, ein Siebenmeilenschritt eine Treppe hinauf, die mit Leichen gepflastert war. Doch zu diesem Zeitpunkt hatten wir uns bereits aus den Augen verloren.
Und ich habe mich dann selbst aus den Augen verloren. Ich habe keinen tieferen Sinn mehr in der täglichen Schufterei gesehen. Ich war noch nie so