Gier
der Hand und blätterte aufs Geratewohl darin. »Eine Kostprobe«, sagte sie nachdenklich und holte tief Luft.
»Das ist nicht nötig«, fuhr Stiernmarck dazwischen. »Ich weiÃ, was ich geschrieben habe.«
»Und wir wissen es auch«, bestätigte Kerstin Holm. »Das geschah kein einziges Mal in betrunkenem Zustand. Es verlief nach einer Art Muster. Einem Muster des Frauenhasses, von dem man ganz unschuldig hätte annehmen können, es sei längst überholt.«
»Weià denn Ihre Frau davon?«, fragte Sara Svenhagen, ohne von ihrem Papierstapel aufzublicken.
»Aber ich bitte Sie«, brachte Stiernmarck hervor.
»Sie ist vermutlich ein Teil der weltweiten feministischen Konspiration«, sagte Sara Svenhagen. »Die Männer kastrieren und sie dazu bringen, sich etwas anderem zuzuwenden.«
»Wie zum Beispiel Kindern«, ergänzte Kerstin Holm.
Sie beobachteten ihn. Versuchten, genau zu analysieren, was sich in seinem Inneren abspielte. Das Gesicht mit den groben Zügen wurde merklich blass, sein Blick veränderte sich, er wurde deutlich entschlossener.
Stiernmarck stand auf und sagte mit klarer fester Baritonstimme: »Jetzt muss ich Sie aber wirklich um eine Erklärung bitten, bevor Sie mein Haus verlassen.«
»Kinderpornografie«, verdeutlichte Kerstin Holm, während sie ebenfalls aufstand. »Sexuelle Ãbergriffe auf Kinder. Pädophilie.«
»Und was zum Teufel soll das mit mir zu tun haben?«
Während Kerstin Holms und Carl-Henric Stiernmarcks Blicke sich in einer Art Clinch befanden, vernahm Sara Svenhagen ein sehr leises Rascheln vor der geschlossenen Tür. Sie drehte sich nicht um, sondern beobachtete weiter die Kombattanten.
»Es handelte sich lediglich um ein Beispiel«, erklärte Kerstin Holm, ohne auch nur für den Bruchteil einer Sekunde mit dem Blick auszuweichen. »Ein Beispiel dafür, was passiert, wenn ihr euch der Frauen entledigt habt, die dabei sind, die Weltmacht zu übernehmen. Die sich erlauben, die makellose, klar strukturierte Welt, die ihr Männer über Jahrtausende hinweg aufgebaut habt, zu verunreinigen, sie mit ihrer MittelmäÃigkeit, ihrer Kindergartenmentalität, ihrer vollkommen unvorhersehbaren Begierde und ihrer nur allzu vorhersehbaren Monatsblutung besudeln.«
»Ich möchte, dass Sie jetzt gehen«, sagte Stiernmarck, so ruhig er konnte. Angesichts dessen, wie stark er seine Fäuste ballte, war sein besonnener Tonfall imponierend.
»All das waren Zitate«, erklärte Sara Svenhagen mit einem Blick in die Papiere.
»Runter von meinem Sofa und raus aus meinem Haus!«
Sara stand von dem Sofa mit dem eigentümlichen Namen Mesomene auf, steckte behutsam den Packen Papiere in ihre Handtasche, ging auf die Tür zu und öffnete sie.
Ohne Sara eines Blickes zu würdigen, sagte Carl-Henric Stiernmarck zu Kerstin Holm: »Ein paar Worte unter vier Augen, Kommissarin.«
Kerstin und Sara tauschten rasch einen Blick aus. Sara deutete ein Kopfschütteln an. Kerstin nickte ihr zu und erklärte: »Ist schon okay, Sara. Nur ein paar Worte.«
Sara Svenhagen ging in den Flur hinaus. Sie schüttelte ihr Unbehagen ab und blickte auf die geschlossene Tür direkt gegenüber. Sie überlegte eine Sekunde und klopfte dann an, während sie die Klinke herunterdrückte.
Johannes Stiernmarck lag auf seinem Bett und starrte an die Decke. Als Sara hereinkam, drehte er sich zur Wand. Seine Haltung erinnerte in beunruhigender Weise an die eines Embryos.
»Du hast heimlich gelauscht, Johannes, nicht wahr?«, fragte Sara. »Ich hab dich gehört.«
Er schwieg. Die wuschelige, schwarz gefärbte Haarmähne lag vollkommen unbeweglich da. Sara konnte noch nicht einmal ausmachen, ob er atmete. Seine Lederjacke mit dem Totenkopf auf dem Rücken bewegte sich ebenfalls nicht.
In diesem Moment, der irgendwie zeitlos zu sein schien, hatte sie plötzlich ihren kleinen Sohn Miguel vor Augen, den blonden Miguel im Protest gegen seine Polizeieltern. Wie er sich Tattoos stechen und Piercings machen lieÃ, die Haare wachsen lieà und sie rabenschwarz färbte. Wie jede Situation ihren Aufruhr erfordert.
Dies hier war das Kind reicher Eltern, das nicht in Papas FuÃstapfen treten wollte. Es aber mit groÃer Wahrscheinlichkeit dennoch tun würde. Wenn er sich die Hörner abgestoÃen hätte. Die Frage war nur, ob er
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