Gier
kolumbianischen Drogengeldwäsche in Spanien waren für die Gruppe unschätzbar; es war ein hartnäckiger, gewissenhafter Kampf ohne falsche Emotionen. Wenn hier ein Zorn vorherrschte, war er völlig anderer Natur als der von Bouhaddi. Navarro, der gerne von sich behauptete, in direkter Erbfolge ein Abkömmling der Goten zu sein, die noch vor der arabischen Invasion nach Spanien eingewandert waren, war mit seiner Kombination aus nordischer Kühle und südländischem Stil der perfekte Zahlenanalytiker der Gruppe. Im Moment ging er gerade die wenigen bekannten finanziellen Transaktionen der âNdrangheta durch und begann bereits, erste Schlüsse daraus zu ziehen, die Fabio Tebaldi, der direkt neben ihm saà und ihn mit kritischem Blick musterte, unweigerlich als voreilig und unbegründet bezeichnen würde. Der aufmüpfige, kräftig gebaute und stark tätowierte junge Tebaldi, von dem Hjelm glaubte, ihn bereits in dem Augenblick durchschaut zu haben, als er ihm zum ersten Mal begegnete, war mit seinen achtundzwanzig Jahren im tragischen, aber heroischen kleinen Kreis der Mafiabekämpfer bereits eine Legende. Und zweifellos wäre er bereits tot, wenn er in San Luca geblieben wäre. Auch hier in Den Haag lebte er unter einer geschützten Identität und wurde Tag und Nacht von diversen italienischen Leibwächtern begleitet, die noch muskulöser als er selbst waren. Doch das, was Hjelm hinter Tebaldis Aufmüpfigkeit, hinter dieser kampfesmüden überheblichen Art sah, war die pure Angst. Angst als Antriebskraft. Hjelm ahnte private Beweggründe hinter Tebaldis unermüdlichem Kampf gegen die Mafia, die er jedoch im Augenblick nicht weiter hinterfragen wollte.
Tebaldi hasste Computer, und wie er jetzt mit den Ausdrucken, auf denen die Nester bekannter Organisationen mit Mafiahintergrund aufgelistet waren, und einem kleinen Bleistiftstummel in der Hand dasaÃ, vermittelte er den Eindruck eines raubeinigen Penners, der völlig fehl am Platz war. Doch der Eindruck täuschte. Er war der Kämpfertyp schlechthin. Und keiner hatte enthusiastischer reagiert als er, als sich der erste Auftrag für die Opcop-Gruppe auftat.
Hinter ihm saà die Rumänin Lavinia Potorac und sah sich Fotos von brutalen Gewaltakten an. In ihrem anmutigen Gesicht rührte sich kein einziger Muskel. Keine der grotesken Gewalttaten der âNdrangheta vermochte es, sie aus ihrer eiskalten Ruhe zu bringen. Die ehemalige Eliteturnerin arbeitete eben hart. Häufte Wissen über eine Welt an, für die sie bereits im Alter von zehn Jahren, während eines Anlaufs zum Bock, jegliche Hoffnung aufgegeben hatte. Sie war ein wahres Kind der neu gegründeten rumänischen Demokratie und wurde von der Ãberzeugung geleitet, dass die Welt in zehn Jahren ausnahmslos von kriminellen Gruppierungen regiert werden würde, wenn man nichts dagegen unternahm. Ihr selbst war es in Bukarest gelungen, überraschend viel dagegen zu unternehmen, nicht zuletzt gegen den Menschenhandel bei osteuropäischen Prostituierten. Obwohl sie gerade erst Mutter geworden war, war sie gnadenlos und genau das, was der Gruppe bei der Zusammenstellung noch gefehlt hatte, jemand, der bei Bedarf über Leichen gehen konnte. Allerdings nur bei Bedarf.
Zwar mangelte es der polnischen Polizei keineswegs an Gewaltverbrechen, aber Marek Kowalewski wich beim Anblick der Szenen auf Potoracs Bildschirm doch zurück. Während seiner Zeit im Polizeikorps von Warschau hatte sich der immer für einen Spaà aufgelegte Pole nicht mit Gewalttaten beschäftigt, sondern sich als einer der wichtigsten Experten für die neuartige Form von Wirtschaftskriminalität hervorgetan, die sich in Osteuropa über die Konstellation Privatisierungen â Wertpapiere â Mafiaverbindungen ausbreitete. Den Wirtschaftskriminellen, den Kowalewski einmal zu fassen bekam, lieà er nicht wieder los, so lautete seine eigene simple Grundregel, und er schüttelte lediglich den Kopf, als er sich wieder der Verbrechensstatistik des kleinen Nachbarlandes Lettland zuwandte. Zahllose unaufgeklärte Verbrechen und eine hohe Zahl von Wirtschaftskriminellen hatten das Land mit vereinten Kräften in die Insolvenz getrieben. So viele Leute, derer Marek Kowalewski sich hätte annehmen können. Er drehte sich zu Jutta Beyer um und flüsterte ihr etwas zu.
Beyer schüttelte den Kopf und zog sich dezent
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