Gier
zurück. Sie begann ihre Stifte zu befingern, die bereits in einer perfekten Anordnung auf dem Schreibtisch lagen, und wandte sich dann ohne ein Wort wieder ihrem Bildschirm zu, auf dem diverse Dokumente der schwedischen Möbelindustrie in einer äuÃerst strukturierten Ordnung arrangiert waren. Sie unterlegte bestimmte Textpassagen farbig mit einem Werkzeug, das an die herkömmlichen bunten Textmarker erinnerte. Angesichts des pedantischen Schulmädchengebarens hatte Paul Hjelm bei Jutta Beyer eine Entdeckung gemacht, die ihn merkwürdigerweise an ihn selbst erinnerte, obwohl man ihn beim besten Willen nicht als pedantisch bezeichnen konnte. In Hjelms eigenem Fall hing es damit zusammen, dass er sich nie getraut hatte, einen Blick auf das zu werfen, was sich auÃerhalb seines beengten Arbeitszimmers in Botkyrka südlich von Stockholm abspielte, wo er die höchst unglamouröse erste Hälfte seines Berufslebens verbracht hatte. Beyer hingegen war in einer anderen Art und Weise in sich gefangen, nämlich in ihrem Kontrollbedürfnis, auch wenn sie das nicht preisgab. Aber Hjelm erahnte das Potenzial in ihr und war der Meinung, dass hinter ihrem ökobetonten ÃuÃeren hohe unentdeckte Kapazitäten steckten. Fakt war, dass sie während ihrer Zeit in Berlin keine einzige falsche Entscheidung getroffen hatte â insgesamt allerdings viel zu wenige. Vielleicht war es seine idealistische Seite, die darauf hoffte, etwas für sie tun zu können, wie es sein alter Kommissar Jan-Olov Hultin vor einem guten Jahrzehnt für ihn getan hatte.
Neben Jutta Beyer saà das unzertrennliche Paar Miriam Hershey und Laima Balodis in ein angeregtes Gespräch vertieft. Hjelm hoffte, dass es dabei um die Verbindung nach Lettland ging und nicht um die aktuellen Modetrends des Frühlings, an denen beide sichtliches Interesse zeigten. Sie waren ebenfalls auÃergewöhnliche Polizisten. Hershey hatte eine Vergangenheit im MI5 und daher bedeutsame, aber ihm noch nicht näher bekannte Verbindungen nach Israel, während Balodis der vielversprechenden neuen baltischen Garde der noch nicht korrumpierten Polizisten angehörte. Vermutlich hatten die zwei Frauen sich gefunden, weil beide Informantinnen gewesen waren. Bei beiden war die Dokumentation dieser Vergangenheit in einer bewussten Art vage gehalten, die ein erfahrener Polizist unmittelbar erkannte. Hershey hatte in ihrem Berufsleben bereits, offenbar während der Unterwanderung einer terroristischen Zelle, die Verbindungen zur Organisation Markazi Jamiat Ahlehadith unterhielt, einen Bombengürtel um ihren Körper getragen und es in letzter Sekunde geschafft, ein Selbstmordattentat auf einem Markt in Manchester zu vereiteln, und so vermutlich Hunderte von Menschenleben gerettet. Ãber ihrer Akte des MI5 schwebte ein unsichtbarer, aber durchaus wahrnehmbarer Heiligenschein. Balodisâ Heldentat wurde noch stärker verschleiert. Um sich einer Schleuserorganisation zu nähern, hatte sie sich einige Monate in der litauischen Hafenstadt KlaipÄda als Prostituierte ausgegeben, wodurch es der Polizei gelang, einen gesamten Menschenschmugglerring auszuhebeln.
Merkwürdig war allerdings, dass beide Frauen trotz ihrer bitteren Erfahrungen erstaunlich abgeklärt wirkten.
Angelos Sifakis betrachtete die beiden von der Seite. Mit seiner milden, engelsgleichen Erscheinung machte er seinem Namen alle Ehre. AuÃerdem kam er aus der mit Abstand sichersten GroÃstadt Europas, Athen. Hjelm hatte sich in der Tat gefragt, ob die Gruppe überhaupt einen Griechen benötigte. Wäre ein Holländer oder ein Ungar nicht angemessener gewesen? Doch als er den Lebenslauf des fünfunddreiÃigjährigen Atheners durchsah, stellte er fest, dass Sifakis sich während seiner gesamten bisherigen Karriere der eklatantesten und am schwersten beizukommenden griechischen Kriminalität gewidmet hatte: der politischen Korruption. AuÃerdem hatte Hjelm noch nie einen so mutigen Polizisten gesehen. Nicht weniger als vier Mal war er in unterschiedlichster Weise von Ermittlungen, die sich gegen hochrangige Politiker richteten, abgezogen worden, und nicht weniger als vier Mal war es ihm gelungen, sich wieder zurückzukämpfen. Er hatte den Rücktritt mindestens zweier Regierungsmitglieder zu verantworten, und Hjelm zögerte trotz Sifakisâ unauffälligen Erscheinungsbilds keinen Moment, ihn zu seinem Stellvertreter, dem
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