Gier
Beyer.
Als sie sich nach diesem Gespräch wieder umsah, machte die Bürolandschaft keineswegs mehr einen verlassenen Eindruck. Sie hatte mit ihren Ideen gewissermaÃen die Wüste bewässert. Während ihres Dialogs mit Söderstedt war ein Bürostuhl nach dem anderen näher herangerollt. Fabio Tebaldi, dem selten etwas peinlich war, kam ihr bedenklich nahe, wie eine Katze, die auf das Kopfkissen ihres schlaftrunkenen Frauchens springt, während Angelos Sifakis, mindestens ebenso interessiert, aber deutlich subtiler, sich schräg von der Seite genähert hatte. Lavinia Potorac und Felipe Navarro hielten sich in gewisser skeptischer Entfernung, und auch Laima Balodis und Marek Kowalewski beobachteten das Geschehen aus einiger Distanz. Balodis schien die Abwesenheit ihres Schattens Hershey ernsthaft zu beeinträchtigen, während Kowalewskis anfängliches Clownsgehabe inzwischen nur noch vage Erinnerung war. Er sah aus wie ein begossener Pudel, fand Jutta Beyer, schämte sich aber sogleich für ihre Schadenfreude. Jorge Chavez blieb in seiner Ecke des GroÃraumbüros sitzen, schickte aber diskrete Seitenblicke.
»Wiederhole das bitte noch einmal, Jutta«, bat Tebaldi.
Sein Gesicht war wirklich direkt vor ihrem. Sie lehnte sich etwas nach hinten und wiederholte: »Es sind bis jetzt wie gesagt noch reine Spekulationen.«
»Wir haben deine Skepsis registriert«, warf Lavinia Potorac unverhohlen ein.
Immer geradeheraus, dachte Beyer und spürte, wie sich ihre Kiefermuskeln für einen Augenblick anspannten, bevor sie fortfuhr: »Meiner Meinung nach sieht es folgendermaÃen aus: Das schwedische Möbelunternehmen Endymion bekommt während der Finanzkrise im September vergangenen Jahres akute Liquiditätsprobleme. Es gibt einen groÃen Posten, den man einsparen könnte, nämlich die Entsorgung von bromierten Flammschutzmitteln und perfluorierten Tensiden. In irgendeiner Form nimmt der Direktor Carl-Henric Stiernmarck Kontakt zu jener Bande auf, die Ãkomafia genannt wird, eigentlich ist es die antiökologische Mafia, die das Gift geradewegs in die Natur entsorgt. Bekanntlich wurde im Februar eine Mail sowohl nach Italien als auch nach Lettland geschickt. Indem man also auf die legale Entsorgung des Gifts verzichtet und zu Beginn des Frühjahrs eine komplette Ladung per Schiff an eine ausgewählte Stelle in Lettland verfrachtet, vermutlich in der Ostsee, spart man definitiv eine ganze Menge Geld.«
»Obwohl man sich zu Beginn des Frühjahrs nicht länger in der Krise befindet«, warf plötzlich die Litauerin Laima Balodis ein, als hätte sie sich endlich mit einem raschen Schnitt von ihrem siamesischen Zwilling befreit.
»Aber«, merkte Fabio Tebaldi in scharfem Tonfall an, »wenn man einmal einen Vertrag mit der Mafia geschlossen hat, ist es das Beste, man hält ihn auch ein.«
»Insbesondere«, fügte Jutta Beyer hinzu, »wenn man im Oktober Gelder von der Mafia erhalten hat. Gelder, die das Unternehmen vor der Insolvenz bewahrt haben.«
»Damit kommen wir schlieÃlich zu meiner Frage, die ich gerne noch einmal wiederholen möchte«, sagte Tebaldi. »Wieso um alles in der Welt sollte die âNdrangheta oder wer auch immer Geld in ein kleines schwedisches Möbeldesignunternehmen pumpen wollen?«
Alle verstummten, allen voran Jutta Beyer. Es herrschte ein langes betretenes Schweigen.
»Geht es nicht letztlich darum«, fragte schlieÃlich Arto Söderstedt, »einen Fuà in die Tür zu bekommen, indem man eine legale Basis in einem neuen Land etabliert? Zum Beispiel bei einem Unternehmen, das einigermaÃen vielversprechend aussieht und den Ausgangspunkt für eine Expansion bilden kann? Nicht zuletzt, wenn man den Unternehmensdirektor gewissermaÃen in der Hand hat? Stiernmarck hat sich mehr oder weniger unschuldig an eine Organisation gewandt, die ihm für billiges Geld helfen würde, ein bisschen Müll loszuwerden. Sie hat ihn mit Widerhaken gespickt, und jetzt kommt er nicht mehr von ihr los. Die italienische Mafia hat ihn von nun an im Griff. Ãber ihn hat sie Zugang zu Schweden.«
Das Telefon klingelte so laut, dass es nur wenigen von ihnen gelang, nicht zusammenzuzucken. Einer von ihnen war Arto Söderstedt. »Ich habe auf diesen Anruf gewartet«, sagte er und inspizierte die Telefonnummer auf dem Display seines Handys. Sie setzte sich hauptsächlich
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