Gier
väterlich bei. »Eine notwendige, aber nicht unbedingt ausreichende Bedingung, wie die Philosophen sagen würden. Nenn mir eine Bank auf den Caymaninseln, den Kanalinseln, den Bermudas, den Jungfraueninseln, in Liechtenstein, Luxemburg, der Schweiz, Monaco, Andorra und Panama, die nicht bereits das ein oder andere Mal Mafiagelder verschoben hat. Oder nimm die USA. Geld stinkt nicht, so lautet die simple Devise der Banken. Sie können schlieÃlich nicht die Verantwortung für den Ursprung der eingezahlten Gelder übernehmen.«
»Du denkst doch nur dauernd an diesen Chinesen«, entgegnete Beyer trotzig.
»Ich kann viele Dinge gleichzeitig«, entgegnete Söderstedt ruhig. »Klassische männliche Simultankapazität, das ist etwas, was ihr Frauen einmal ausprobieren solltet. Ich habe das Gefühl, dass ich mich der Sache langsam annähere. Um aber auch nur eine geringe Chance zu haben, muss ich Mandarin lernen oder zumindest verstehen, wie die Sätze aufgebaut sind und die Worte ausgesprochen werden. Nachdem ich meine Erinnerung immer wieder durchgegangen bin, ist mir endlich eingefallen, wie die Worte in London geklungen haben.«
Er zog einen Post-it-Zettel vom Bildschirm ab, schrieb den Text darauf und fuhr fort: »Das, was ich gehört habe, klang in etwa so: âºksangpudygrgymongultjudygnialkridingyljiangâ¹. Ich habe es auf Band gesprochen und in einer Sprachdatei an ungefähr zehn Experten weltweit geschickt, aber wirklich erfolgreich war das nicht. Ich habe zwar massenweise Vorschläge erhalten, aber sie waren sehr unterschiedlich und teils ausgesprochen phantasievoll. Allerdings waren sich alle darin einig, dass das âºjiangâ¹ am Ende âºFlussâ¹ bedeutet, auch wenn es sich genauso gut um den Namen âºJiangâ¹ handeln könnte. Wie der Tischtennisspieler.«
»Jiang Jialiang«, sagte Jutta Beyer zu Söderstedts aufrichtigem Erstaunen.
»Hast du etwa schon mal von ihm gehört?«
»Nur, weil er bei der WM 1987 gegen Waldner gewonnen hat.«
»Da kannst du aber noch nicht besonders alt gewesen sein.«
»Alt genug, um mich zu verlieben.«
»In Jiang Jialiang?«
»In Jan-Ove Waldner«, entgegnete Jutta Beyer, diesmal ohne rot zu werden.
Söderstedt, der eine nahezu perverse Vorliebe dafür hatte, seine Vorurteile widerlegt zu sehen, betrachtete Jutta Beyer nun mit anderen Augen und verkniff sich die Bemerkung: Und jetzt also Paul Hjelm? Stattdessen fragte er: »Und deine Nachforschungen?«
»Die schwedische Möbeldesignindustrie«, antwortete Jutta Beyer und tippte mit ihrem Stift auf die Schreibtischplatte. »Sie ist nicht ganz so eigentümlich wie die dänische, aber international gesehen ist IKEA letztlich ein Begriff, der Türen öffnet. Endymion möbelsystem AB ist ein kleiner, aber gut etablierter Akteur im exklusivsten Segment. Die Firma ist spezialisiert auf Polstermöbel, Sofas, Betten, Sessel und Stühle, die alle sowohl mit bromierten Flammschutzmitteln als auch mit perfluorierten Tensiden imprägniert werden. Beide Stoffe gehören zu den gefährlichsten Umweltgiften der heutigen Zeit. Bei der Anwendung entstehen offenbar jede Menge Rückstände, die irgendwie entsorgt werden müssen.«
»Aber gibt es denn wirklich Anzeichen dafür, dass es hierbei um Umweltgifte geht?«
»Nicht direkt«, antwortete Beyer zögerlich.
»Aber indirekt schon?«, fragte Söderstedt ungeduldig.
»Ich denke da an die Ãkomafia«, sagte Jutta Beyer standhaft. »Umweltschädliches Material zu beseitigen ist ein neues und wichtiges Nebengeschäft der Mafia. Gewisse Unterorganisationen befassen sich ausschlieÃlich damit.«
»Sie sabotieren die Müllabfuhr in Neapel, versenken ausgediente Ãltanker im Mittelmeer und vergiften die Pinienwälder der Antike unwiederbringlich mit Atommüll. Sie benehmen sich in ihrem eigenen Land geradezu widerwärtig. Aber sie beschränken sich in der Regel doch wohl auf Italien, oder?«
»Warum sollten sie? Wir befassen uns immerhin mit internationaler Kriminalität. Warum sollten sie nicht auch in Lettland agieren? In einem kleinen Land am Rande des Ruins, das verzweifelt um seine Liquidität kämpft?«
Arto Söderstedt stutzte. Er betrachtete die energische Gestalt und entdeckte in Jutta Beyer zum ersten Mal die strukturiert denkende Polizistin. Wieder einmal sah er seine
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