Gier
Sie drei von Europol, um in einem Fall zu ermitteln, über den wir immer noch nicht besonders viel in Erfahrung gebracht haben und der, abgesehen vom Modus Operandi, kaum als besonders wichtig einzustufen ist. Ein Mord unter vielen, ohne Motiv, ohne die Identität des Opfers, ohne einen Täter.«
»Haben Sie irgendetwas Neues herausgefunden, was noch nicht in den Unterlagen verzeichnet ist, die an Europol geschickt wurden?«
»Nur Kleinigkeiten. Aber zuerst sollten wir uns vielleicht darüber unterhalten, wie wir die zukünftige Arbeit strukturieren wollen. Vor allem über eine Sache.«
»Und die wäre?«
»Um es kurz zu machen«, sagte Dryden und beugte sich ein wenig vor, »was wissen Sie, das ich nicht wei�«
Hjelm betrachtete Bouhaddi und Hershey, die keinerlei Probleme damit zu haben schienen, vorübergehend eine Statistenrolle anzunehmen. Beide waren im englischen wie im französischen System hierarchisch geschult und würden sich zurückhalten, bis die Spielregeln festgelegt wären. Ihre Blicke waren mit anderen Worten verdächtig neutral â und somit kaum eine Hilfe.
Nicht dass Paul Hjelm Hilfe benötigt hätte. Seine Direktiven waren glasklar. Also sagte er: »Es werden gewisse Tests im Hinblick auf eine operative Einheit bei Europol durchgeführt. Damit sind wir beauftragt.«
Ralph Dryden fiel nicht die Kinnlade herunter. Er nickte lediglich kurz und sagte: »Ich hatte es fast geahnt. Aber ist das nicht ... regelwidrig?«
»Diese Option ist in den Statuten aufgeführt.«
»Vermutlich irgendwo im Kleingedruckten«, murmelte Dryden und gab sich dann einen Ruck. »Wie auch immer, ich bin dankbar dafür, endlich im Bilde zu sein. Wie verfahren wir also weiter?«
»Eigentlich genauso wie sonst auch«, meinte Hjelm. »Wir unterstützen Sie bei Ihren Ermittlungen mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln.«
»Aber wenn Sie der Chef der operativen Einheit sind, müssen Sie ja einem armen Chief Inspector der Met weit übergeordnet sein, oder?«
»Wir unterstützen Sie bei Ihren Ermittlungen mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln«, wiederholte Hjelm und lächelte freundlich.
Dryden lächelte nicht. Nach ein paar Sekunden hellte sich sein todernster Gesichtsausdruck jedoch auf, und er brach abrupt in ein heftiges Gelächter aus, das er kurz darauf ebenso abrupt wieder einstellte. Er stand auf und fuhr mit den Fingern über die Wand mit den Fotografien. »Würden Sie mir bitte helfen?«, bat er.
Corine Bouhaddi trat zu ihm. Gemeinsam mit Dryden löste sie ganz einfach die vordere Wand von der hinteren. Eine Art Geheimtür öffnete sich. Dahinter tat sich unerwartet ein bedeutend gröÃerer Raum auf. Darin standen drei Schreibtische mit Computern, ein Sofa, einige Sessel, ein gröÃerer Tisch und sogar eine kleine Küchenecke mit Herd, Spüle und Kühlschrank. AuÃerdem hatte der Raum ein Panoramafenster mit dem Blick auf die Skyline von London, wo sich der Smog inzwischen gelichtet hatte. Der Regen war weitergezogen, und ein diesiges Sonnenlicht drang durch die Wolken, das die Stadt in einem nahezu göttlichen Glanz erstrahlen lieÃ.
Ralph Dryden verankerte die Geheimtür, sodass sie sich in ein Whiteboard für den gesamten hellen Raum verwandelte, der nun auch sein eigenes kleines dunkles Zimmer mit einschloss. Dann wanderte er von Schreibtisch zu Schreibtisch und wies ihnen ihre Plätze zu: »Corine Bouhaddi, Miriam Hershey sowie Paul Hjelm. Letzterer mit Panoramablick. Ich hoffe, Sie werden die nötige Konzentration aufbringen können.«
»Das sollte nicht das Problem sein«, entgegnete Hjelm und lächelte. »Sollen wir uns jetzt dem Fall zuwenden?«
»Unbedingt«, antwortete Dryden. Er ging auf das Whiteboard zu und räusperte sich. »Ich gehe davon aus, dass Sie bereits über den Fall unterrichtet sind, aber ich umreiÃe ihn noch einmal kurz. Unsere unidentifizierte Leiche wurde um 7:14 Uhr am Sonntagmorgen, dem 5. April, beim Bird Sanctuary Pond in Hampstead Heath von einer ziemlich aufgewühlten Ornithologin namens Audrey Watts entdeckt. Sie hat dieses Bild mit ihrem Handy gemacht und es an einen guten Freund geschickt, der es unmittelbar an die Met weiterleitete. Wir hatten bereits um 7:31 Uhr eine Patrouille vor Ort. Zu diesem Zeitpunkt stapfte Watts unten im Teich herum und rief
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