Gier
reinen Lügen.
Holm wählte den unkomplizierten Weg. Sie telefonierte kurz.
»Jon?«, fragte sie. »Was machst du gerade?«
»Tja«, antwortete Jon Anderson. »Marcus und ich sehen gerade fern und genieÃen dabei einen Cognac auf dem Sofa.«
»Möchtest du stattdessen vielleicht lieber den Mafiacode knacken?«
»Wie das?«
»Dazu müsstest du dich allerdings hierherbegeben. Stiernmarck hat vor, uns das Passwort zu verraten. In zwei Minuten wird eine Streife vor deiner Haustür eintreffen. Danach kannst du weiter gemeinsam mit Marcus fernsehen. Fordere aber erst sofortigen Personenschutz für die Familie Stiernmarck in ihrer Villa in Hästhagen an. Zwei Mann und die komplette Alarmausrüstung. Rufst du danach Jorge in Den Haag an und koordinierst es mit ihm? Okay?«
»Zum Teufel auch«, rief Jon aus.
»Ja oder nein? Wir haben schlieÃlich noch andere Computertechniker, das ist nicht das Problem. Ich dachte nur, dass es dich reizen würde. Immerhin warst du derjenige, der die ganze Sache ins Rollen gebracht hat.«
»Ich bin in fünf Minuten bei euch.«
»Immer Zeitoptimist, nicht wahr?«
»Optimismus und Realismus kann man miteinander kombinieren«, entgegnete Jon Anderson.
Er war bereits von dem antiken Sofa aufgestanden und halbwegs in seinen Mantel geschlüpft, als der gutmütige Marcus aus seinem Lehnstuhl von 1876 aufschaute, ein paar Züge aus seiner gut durchgeglühten Pfeife der ebenso traditionellen wie exklusiven Marke Savinelli nahm und mit einer skeptisch hochgezogenen linken Augenbraue anmerkte: »Ich vermute, dass es sich um einen polizeilichen Auftrag und nicht um einen hitzigen Liebhaber handelt?«
Jon Anderson hatte bereits eine Nummer in sein Handy getippt, als er mit halb angezogenem Mantel und zwei ungeschnürten Stiefeln auf den Sessel zumarschierte und seinem Partner einen Abschiedskuss auf die Wange drückte.
»Die Polizei ist mein hitziger Liebhaber, du alter Tattergreis«, sagte er.
»Wie bitte?«, rief eine Stimme aus dem Handy.
»Tut mir leid, Göran«, meldete sich Jon, während er die Wohnung verlieà und ins Treppenhaus hinausstolperte. Er stürmte die Stufen hinunter, erledigte den Auftrag, Personenschutz in Hästhagen zu organisieren, und als er auf die Roslagsgata hinaustrat, legte unmittelbar vor ihm ein Streifenwagen mit eingeschaltetem Blaulicht und quietschenden Reifen eine Vollbremsung hin.
Jon Anderson sprang in den Wagen.
»Es eilt, wenn ich es recht verstanden habe, Herr Kommissar?«, fragte der uniformierte Polizeiassistent auf dem Fahrersitz.
Anderson warf ihm einen kurzen Blick zu und antwortete dann: »Ja, sehr.«
Diese Antwort bewirkte, dass sich das folgende Telefonat mit Den Haag etwas ruckartig gestaltete. Andererseits hatte es kaum begonnen, als die Streife auch schon mit abermals quietschenden Reifen vor dem Haupteingang des Gebäudes der Reichskriminalpolizei zum Stehen kam.
»Jorge?«, rief Jon in sein Handy.
»Zum Teufel noch mal, bist du es, Jon? Jon Anderson, der gröÃte Polizist von ganz Schweden. Oder zumindest der gröÃte schwule Polizist. Verdammt, das hört sich ja an wie in ânem schlechten Porno.«
»Wie betrunken bist du eigentlich?«
»Wieso, ist irgendwo eine Party im Gange? Hast du nicht Lust vorbeizukommen, Jon? Lange her, dass wir uns gesehen haben. Komm doch zu uns, wir sitzen im coolen Rootz, und ich verspreche dir, dass das verdammte Twaalf verfluchte zwölf Prozent hat. Ja, zwölf, zum Teufel. Oder, Arto? Ach, der ist völlig weggetreten. Wach auf, Arto.«
»Ich bin um einiges wacher als du, mein Lieber«, hörte Anderson eine schwache finnlandschwedische Stimme im Hintergrund sagen.
»Ich habe selbst zwei ordentliche Cognacs intus«, gab Jon Anderson zu, »und jetzt werde ich dir sagen, was mich wieder nüchtern gemacht hat. Aber wahrscheinlich bist du ein weitaus hoffnungsloserer Fall.«
»Shoot, my man.«
»Ich bin gerade auf dem Weg ins Polizeigebäude. Dort angekommen, werde ich das Passwort von Carl-Henric Stiernmarck entgegennehmen und damit den Code unserer Mafiamails entschlüsseln. Hast du Lust, dabei zu sein?«
In der Leitung wurde es still. Anderson hörte nur entfernte Kneipengeräusche. Inklusive überraschend einsetzendem Babygeschrei.
»Ich vermute, meine Frau ist an eurem Erfolg nicht ganz unschuldig«, sagte
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