Gier
»Aber es ist so. Er hat sich nicht am Computer abgemeldet, also das Polizeigebäude wohl nicht verlassen. Aber keiner weiÃ, wo er ist. Sein letztes Lebenszeichen ist eine Chat-Nachricht an Beyer in Den Haag. Seitdem ist er spurlos verschwunden.«
»Und vorher hat er über Mark Payne und David Coleman recherchiert?«
»Ja. Aber davon dürftest du in deinem Zustand auch nichts wissen.«
»Glaubst du ernsthaft daran, dass ich vorhabe, hier liegen zu bleiben? Ich habe in meinem Leben schon weitaus Schlimmeres durchgemacht.«
»Davon bin ich überzeugt, Miriam, und es ist auch vollkommen in Ordnung, dass du mit Laima in Den Haag gesprochen hast. Sie war ja als Einzige nüchtern genug, um sich um Jutta zu kümmern, die einen Zusammenbruch erlitten hat. Ich weià zwar, dass du vollständig auf schmerzlindernde Medikamente verzichtest, was in meinen Augen regelrecht dumm ist, aber in einer Stunde musst du zum Röntgen, und dann wird man sehen, wie es um deine Gesichtsknochen bestellt ist. Du tust mir doch den Gefallen, nicht wahr? Und nimm etwas Schmerzlinderndes, vielleicht etwas, das deinen Geisteszustand nicht allzu stark beeinträchtigt.«
»Hm«, murmelte Miriam Hershey.
»Ich soll um halb zehn bei einem wichtigen Meeting sein, ich muss also los. Komm zu uns, sobald du dich wieder fit fühlst. Denn wir brauchen dich.«
»Was glaubst du, ist geschehen?«, fragte Hershey leise.
»Irgendetwas ist ganz und gar nicht so, wie es sein sollte«, antwortete Hjelm. »Man hat aus dem Bericht der Rechtsmedizinerin bestimmte Teile gelöscht. Meiner Ansicht nach ist auÃerdem offensichtlich, dass allein schon Robbinsâ Recherchen über Payne und Coleman irgendeine Form von Alarm ausgelöst haben. Es wird nicht leicht werden, die Met davon zu überzeugen, dass sie ein internes Problem hat.«
»Wenn es denn so ist«, entgegnete Hershey. »Auch wenn sich einer ungewöhnlich ungeschickt anstellt, gelingt es zwei lächerlichen Verkehrspolizisten wie Payne und Coleman wohl kaum, ihn unbemerkt aus dem Gebäude zu schaffen. Die Aktion ist meiner Meinung nach von einer Professionalität, wie sie nicht bei der Met zu Hause ist.«
»Sondern eher im MI5?«
»Oder dergleichen.«
»Dennoch muss es sich um ein internes Problem handeln«, sagte Hjelm. »Wie sollten die beiden sonst in das Gebäude von New Scotland Yard eingedrungen sein?«
»Ich kann mich nur wiederholen: Diese Professionalität ist nicht typisch für die Met.«
»Ich höre, was du sagst«, erklärte Paul Hjelm und stand auf. »Aber jetzt muss ich los. DrauÃen vor dem Krankenhaus wartet eine Streife, die schon mächtig mit dem Gaspedal spielt.«
»Sieh nur zu, dass nicht Payne und Coleman fahren.«
Hjelm lachte auf, nahm ihre Hand und drückte sie, woraufhin sie den Druck erwiderte. Dann verlieà er das Krankenbett. Er hatte zwar bereits von Agentinnen gehört, die absolut hartgesotten waren, aber die zierliche Hershey schien sie alle zu übertreffen. Je weiter er in diesen merkwürdigen Fall vordrang, desto zufriedener war er mit der Auswahl seiner Mitarbeiter.
Inklusive Jutta Beyer.
Er musste dringend ein Telefonat erledigen. Während er in den Aufzug des St.-Thomas-Hospitals stieg, wählte er eine Nummer aus dem Adressbuch seines Handys.
»Arto«, sagte er. »Wie geht es Jutta?«
»Nicht so gut«, antwortete Arto Söderstedt. »Ich stehe hier vor ihrer Wohnung und versuche sie seit fünf Minuten per Handy zu erreichen. Sie gibt sich die Schuld. Hätte sie den offiziellen Weg genommen, wäre Robbins nicht entführt, Dryden nicht angeschossen und Hershey nicht verletzt worden.«
»Das wissen wir doch gar nicht«, sagte Hjelm. »Richte ihr von mir aus, dass sie absolut richtig gehandelt hat, indem sie versucht hat, eine Abkürzung zu nehmen. Sieh zu, dass du in ihre Wohnung kommst. Sie braucht jetzt jemanden, der bei ihr ist. Sie ist eine einsame Seele.«
»Der Schlüsseldienst ist schon unterwegs«, entgegnete Söderstedt. »Und wie gestaltet sich die Krise auf deiner Seite?«
»Ich werde noch ein paar Stunden durchhalten, aber dann muss ich erst mal ein wenig schlafen. Wir werden schlieÃlich alt, Arto.«
»Jeder spricht am besten für sich selbst, oder? Du edler Greis.«
»Du hast ja recht«, gab Hjelm zu. »Ich glaube
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