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Gier

Gier

Titel: Gier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arne Dahl
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und Washington nahmen, verzichtete man bewusst darauf, Jagdflugzeuge gegen sie einzusetzen. Stattdessen sorgte man dafür, dass gewisse Schlüsselfiguren die gefährdeten Orte verließen. Die restlichen Menschen mussten als Märtyrer sterben. Es stand zu viel auf dem Spiel. So konnte man mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen: Man konnte den amerikanischen Zugang zum Öl absichern, die militärische Verteidigung aufrüsten, hart gegen sowohl legale als auch illegale Immigranten vorgehen, die Polizei mit erweiterten Befugnissen ausstatten und den christlichen Glauben der Nation stärken. Alles nur mittels einer kleinen Unterlassung.
    Â»Aber ich frage mich, ob dein Boyfriend wirklich eine Schlüsselfigur war«, wandte Kyle ein und betrachtete mich, wie ich nackt in seinem Bett lag.
    Â»Wohl kaum«, entgegnete ich. »Er war ein richtiger Langweiler.«
    Kyle lächelte und sagte: »Oder ist. Immer noch.«
    Â»Genau«, pflichtete ich ihm bei. »Stell dir vor, er kommt zurück und bedroht mich. Wohin soll ich mich dann wenden? Ich habe ja keine Beweise gegen ihn. Ich kann nicht einfach zur Polizei gehen oder mich an die Presse wenden und auch nicht an die Politiker.«
    Â»Natürlich musst du dich an die Presse wenden«, sagte Kyle. »Wer sollte dich denn daran hindern?«
    Â»Meinst du wirklich, sie würden mir glauben?«, fragte ich. »Würde er mich nicht einfach umbringen, um sein Geheimnis zu wahren, bevor sie ihre Recherche abgeschlossen hätten? Dann würde letztlich alles im Sande verlaufen.«
    Â»Möglicherweise hast du recht«, meinte Kyle und streichelte meine Brüste. »Wenn du es so einschätzt, gibt es sicher nur eine Instanz, an die du dich wenden kannst.«
    Â»Diese hier?«, fragte ich und spreizte die Beine.
    Â»Wenn du es so sehen willst«, lachte Kyle und kam noch etwas näher. »Aber ich hatte ehrlich gesagt eher an Barack Obama gedacht.«
    Verzeih mir diese schamlosen Einblicke in mein Intimleben. Aber er hat mir einen Floh ins Ohr gesetzt. Mir einen letzten Ausweg aufgezeigt. Eine allerletzte Chance, wenn es denn so weit kommen sollte.
    Ich bin sehr auf einen Ausweg angewiesen. Paradoxerweise. Denn eigentlich habe ich ja vor, noch tiefer in das Labyrinth vorzudringen. Ich kann nicht einfach so weiterleben, die Augen verschließen und die Spielregeln akzeptieren. Soll immer der Stärkere gewinnen?
    Ich war noch nie Feuer und Flamme für etwas. Auch jetzt bin ich es nicht. Aber ich will nicht zu Eis erstarren.
    Denn wir sind dabei, zu Eis zu erstarren, meine Liebe. Wir alle. Für die Dimensionen von Verbrechen existieren keine Grenzen mehr. Die Gierigen erweitern die Grenzen stetig. Und wir merken es gewissermaßen gar nicht mehr. Der gesamte Finanzsektor, dem ich mein Leben gewidmet habe, ist marode geworden. Wir haben ein komplettes System auf dieser Gier aufgebaut. Ich will nicht mehr.
    Ich will ganz einfach nicht mehr.
    Also gehe ich weiter. Also werde ich mich an den glatten feuchtkalten, tropfenden Wänden des Labyrinths entlang weiter vorantasten, während das Monster da drinnen immer lauter brüllt.
    Minotaurus ist kein Individuum, meine Liebe, er ist – ich weiß nicht. Ein System? Das Zentrum im Labyrinth unserer kapitalistischen Gesellschaft? Das dort in der Tiefe brüllt.
    Es gibt eine Öffnung, meine Freundin. Ich habe sie gefunden. Ich werde Dich nicht mit Einzelheiten langweilen, aber ich habe jetzt einen Weg ins Innerste gefunden. Es ist ein ungesicherter Computer. Der PC eines Mannes mit sehr regelmäßigen Gewohnheiten. Manchmal verlässt er seinen Arbeitsplatz, ohne sich auszuloggen. Ich habe ihn den ganzen Tag lang in meinem Blickfeld.
    Das Risiko? Ja, in Deinen Mails sprichst Du die Risiken an. Und natürlich ist es gefährlich. Aber das andere wäre weitaus schlimmer: nämlich vor dem Labyrinth zu erfrieren.
    Es ist inzwischen bereits nach ein Uhr nachts. Ich schicke diese Mail an Dich und hoffe, dass Du den Faden immer noch in der Hand hältst, meine Phädra. Wie gesagt, ich brauche Dich mehr denn je.
    Wenn es schiefgeht, muss ich vermutlich überstürzt das Land verlassen.
    Küsschen von Deiner
    Ariadne

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