GIERIGE BESTIE
obwohl mein Name noch nie gefallen war. Nicht in diesem Zusammenhang, nicht im Zusammenhang mit diesem Fall und vor allem nicht geografisch, an diesem Ort der Welt, an dem er die Daten mitgenommen hatte.
„Nun, was ist denn Ihr eigentlicher Auftrag, Herr Doktor Müller, warum Sie hier sind?“ Und ohne die Antwort abzuwarten, fügte er hinzu: „Ich habe es mir gedacht, dass man Sie schicken wird. Als man mir in der letzten Mail mitgeteilt hatte, man würde sich jetzt Hilfe eines international tätigen Kriminalpsychologen holen, war mir nach Durchsuchen des Netzes relativ rasch klar geworden, dass es sich nur um Sie handeln kann.“
Ich wusste nicht, ob mich diese Aussage ehren sollte oder ob es Teil seines manipulativen Spieles war. Er erkannte meinen persönlichen Narzissmus in allen kriminalpsychologischen Angelegenheiten wahrscheinlich genauso schnell wie ich erkannte, dass er Kettenraucher war. Aber ich sah trotzdem eine gewisse Nervosität, die sich teilweise in seinen Augenbewegungen, in seiner Stimme, aber vor allem in seinem fortwährenden Ziehen an seinen Zigaretten sehr deutlich zeigte. „Glauben Sie nicht, dass Sie im Kapitel 46 Ihres Buches ein wenig übertrieben haben?“ Mit dieser Feststellung schlug er mich, metaphorisch gesprochen, geradezu nieder. Obwohl mein Buch nie in der Sprache, in der er sprach, erschienen war, hatte er sich offensichtlich auch damit beschäftigt.
Dieses Kapitel handelte von einem Mann, von einem Spitzenrepräsentanten einer Institution, der langsam aber sicher in seiner beruflichen Tätigkeit in eine Situation gekommen war, wo er selbst nicht mehr konnte. Ich beschrieb diesen Fall deshalb, weil er für mich aufzeigte, dass nahezu jeder Mensch unter bestimmten Umständen in eine Situation geraten könne, wo er Handlungen begeht, an die er eigentlich nie gedacht hatte. Den langsamen und schleichenden Änderungen am Arbeitsplatz. Die Veränderung der Umwelt. Ich hatte auf Einladung verschiedener Institutionen ein paar Vorträge über die psychologischen Hintergründe von Arbeitsplatzkriminalität gehalten. Über ein Phänomen, das mir allmählich immer mehr bewusst wurde, als ich meine kriminalpsychologische Tätigkeit und vor allem meine Neugierde über Tötungsdelikte und Sexualverbrechen weiter ausdehnte. Es waren Fälle wie jener, als Friedrich Leibacher am 27. September 2001 im Parlament des Schweizer Kantons Zug 14 Leute tötete und 14 weitere schwer verletzte. Es war jener Fall, bei dem der Bürgermeister der steirischen Gemeinde Fohnsdorf in Österreich, von einem guten Bekannten am 6. November 2003 in seinem eigenen Büro von mehreren Kugeln niedergestreckt, zusammensackte und nur durch einen eisernen Willen und sehr viel Glück überlebte, und es waren diese feinen psychologischen Zusammenhänge der Kommunikation, der Desinformation, der Erniedrigung und Demütigung, die ich durch meine ständigen Beobachtungen an so vielen Stellen erkennen konnte.
Es waren jene Fälle, bei denen Personen, die den Ausführenden später beurteilten, mit einem geradezu gleichgeschalteten Schrecken feststellen mussten, dass sie keine Ahnung davon hatten, was sich hier zusammenbraute. Dieses Nichterkennen von Zusammenhängen, das Beurteilen von Situationen aus der eigenen Betrachtungsweise, das Verurteilen von Verhaltensweisen anderer Personen aufgrund der eigenen ethischen und moralischen Vorstellungen, das waren wiederum Dinge, die mir vertraut waren. Es waren all jene Irrtümer, die ich in der klassischen kriminalpsychologischen Analyse von Kapitalverbrechen immer wieder kennen gelernt hatte und ich mich, einem Taschenmesser gleich, in regelmäßigen Abständen dagegen schärfen musste, um nicht der allzu großen Verlockung anheimzufallen, Dinge zu interpretieren, von denen man in der Tat keine Ahnung hat. Ein einzigartiges Phänomen, das in der Schnelllebigkeit der heutigen Zeit offensichtlich noch schnelllebiger um sich greift.
zehn
Ich hatte also auf Einladung unterschiedlicher Institutionen zu diesem Thema referiert. Die ersten zusammengetragenen Erkenntnisse aufgezeigt, Verbindungen hergestellt und versucht, Ursachen aufzuzeigen. Dabei erinnerte ich mich noch genau daran, dass ich anlässlich einer Veranstaltung einerseits auf betretenes Schweigen, andererseits auf mehr als entbehrliche zynische Bemerkungen stieß.
„Man kann nicht nicht kommunizieren“, meinte Paul Watzlawick. Und so ist es gerade bei firmeninternen Veranstaltungen ein Eldorado für den interessierten
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