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GIERIGE BESTIE

GIERIGE BESTIE

Titel: GIERIGE BESTIE Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Müller
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Brückengeländer der Pont de la Machine nach hinten gebeugt, nach oben starrte und mir nichts sehnlicher wünschte, als dass mir etwas Vernünftiges einfallen würde. Er hatte in vielen Dingen Recht, wusste Bescheid über die Machtverhältnisse, über die Beständigkeit, über wahr und falsch, gut und böse. Er hatte es erlebt. Er war eigentlich zu jener Auskunftsperson geworden, die ich seit Jahren immer wieder aufsuchte, um über Hintergründe, über Ursache und Wirkung etwas Näheres zu erfahren.
    Zweifelsohne stand vor mir der Spezialist für Workplace- Violence-Fälle. Das war auch der Grund, warum ich ihm angeboten hatte, mit ihm gemeinsam eine Lösung zu suchen und in meinem altbewährten „Quid pro quo“ von ihm all jene Informationen zu erhalten, um über die Gesamtzusammenhänge mehr zu erfahren, als man eigentlich erfahren durfte. Ello Dox war für mich, und das ist keine juristische Bewertung, sondern eine rein kriminalpsychologische, zu dem Experten für Arbeitsplatzkriminalität geworden.
    Aber vielleicht war ich diesmal über meine Sucht gestolpert, mehr zu erfahren, als mir eigentlich zustand. Vielleicht war ich abermals zu überheblich, zu arrogant, zu selbstsicher mit Dingen umgegangen, von denen ich zu wenig verstand. Ello Dox hatte die Verhandlung geführt, obwohl ich versuchen wollte, sie zu leiten. Er hatte sie beendet, sie wieder aufgenommen und nunmehr auch endgültig abgebrochen. Er besaß die Kontrolle, weil er besser war. Er war während der gesamten Verhandlung um einen Schritt voraus. Es gibt Grenzen, über die du nicht hinweg kannst. Es gibt Entscheidungen, die zu hinterfragen zu einer schmerzlichen Erkenntnis werden. Du hast verloren. Das Vertrauen, das mir andere entgegengebracht hatten, hatte ich kläglich in den Sand gesetzt.
    Jetzt war sein Gesicht so nah an das meine herangerückt, dass sich seine Augen durch die Brillengläser wie durch große Lupen vergrößerten. Ich sah seine buschigen Augenbrauen wie unter einem Mikroskop und eine große Zahnlücke, in der ein abgebrochener oder fauler Zahn steckte und mich an eine rostige Patronenhülse erinnerte. Als ob er durch eine besondere Dramaturgie dieser Tragödie noch seinen ganz persönlichen Stempel aufdrücken wollte, fragte er mich todernst, aber trotzdem mit einem leicht angedeuteten verspielten Lächeln um seine Mundwinkel: „Gibt es noch irgendetwas, mein lieber Thomas, das du mir anbieten oder mitgeben möchtest, bevor ich meine ganz persönliche Lebensbeichte in die Realität umsetze? Wenn dir noch etwas einfällt, dann sag es jetzt. Glaubst du allen Ernstes, es gibt noch irgendetwas, was diesen unsäglichen Schmerz der Erniedrigung, des Zusammenfallens meiner eigenen Persönlichkeit und der Vernichtung meines eigenen Lebens lindern oder vielleicht gänzlich aus der Welt schaffen könnte? Ich sage dir – nein.“
    Und während er mir dieses „Nein“ entgegenhauchte, verzog sich sein Gesicht in einer derart gespenstischen Art und Weise, dass ich zum ersten Mal mit eigenen Augen sah, dass Hass einen Menschen auch äußerlich binnen kürzester Zeit verändern kann. Veränderungen können schnell gehen, wenn ganz bestimmte Umstände zusammentreffen, so wie damals in einem verschneiten Alpental Osttirols ...

einunddreißig
    16.15 Uhr, Virgental / Osttirol. Die kleine Frau schlurfte mit ihren Filzpantoffeln nach vorne Richtung Altar und es war mir, als tastete sie mit ihrer rechten Hand das Marmormäuerchen ab, bis zu jenem kleinen Abschluss, wo sie sehr zielsicher einen kleinen Karabiner ergriff, der am Ende einer roten dicken Kordel angebracht war. Sie öffnete den Haken, bewegte sich etwa zwei Meter nach rechts, ertastete mit ihrer Linken abermals einen kleinen Abschlussring und steckte den Karabiner hinein. Als ob sie den Weg zum Allerheiligsten in dieser Kirche öffnen wollte.
    „Kommen Sie“, sprach sie sehr leise. „Kommen Sie zu mir.“
    Sie winkte mir dabei zunächst mit ihren kleinen Händen, gab mit ihrer rechten dann den Weg zu jenem Gemälde frei, das mich seit geraumer Zeit in den emotionalen Bann zog. Erstaunlich dabei war, dass sie das Bild nicht anblickte. Zunächst glaubte ich, dass sie das Gemälde nicht anblicken wollte, als ob es eine Art Ausstrahlung hätte, dessen Bann sie sich entziehen wollte.
    Dann aber erkannte ich, dass meine Schlussfolgerung vollkommen falsch war. Sie konnte es gar nicht sehen. Schließlich kannte ich jene starre Kopfhaltung, die so typisch für jene Menschen ist, die mit

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