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Gift

Gift

Titel: Gift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gordon
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bedienen.
    »Geh nur, du brauchst mir nicht den ganzen Abend Gesellschaft
zu leisten«, sagte Melba.
    Das ließ sich Samuel nicht zweimal sagen. Er trank seinen
Scotch mit einem Schluck aus und ging unter dem Vorwand, einen neuen
bestellen zu wollen, an die Bar. Excalibur folgte ihm, weil er wusste,
Samuel würde ihm heimlich ein paar von den Crackern zustecken, die
neben den Oliven und den hartgekochten Eiern für die Gäste auf dem
Tresen standen. Melba hatte den Gästen strikt untersagt, Excalibur Eier
oder Oliven zu geben. Der kleine Hund vertrug sie nämlich nicht, und
hinterher musste sie dann die Sauerei beseitigen.
    »Hallo, Blanche«, sagte Samuel. »Ich hatte in letzter Zeit
ziemlich viel zu tun. Deshalb habe ich mich länger nicht blicken
lassen.«
    »Was du nicht sagst. Ist mir gar nicht aufgefallen.«
    Der Reporter beschloss, diesen Tiefschlag zu ignorieren.
Vielleicht hatte der Nebel auch auf Blanche eine deprimierende Wirkung.
Frauen waren ohnehin ziemlich launisch, hieß es, und die Arbeit im
Camelot ging ihr sicher ebenfalls auf die Nerven. Seit Melbas
Erkrankung musste Blanche ihre Mutter ständig in der Bar vertreten,
obwohl sie sich viel lieber an der frischen Luft aufhielt und Sport
trieb. Sie verbrachte die Nachmittage nur sehr ungern in der
verrauchten Bar, wo sie sich die meiste Zeit das Gewäsch irgendwelcher
Betrunkener anhören musste.
    Samuel beschloss, Blanches unfreundliche Reaktion nicht
persönlich zu nehmen. »Interessiert es dich, was sich in meinem letzten
Fall Neues getan hat?«, fragte er, um mit ihr ins Gespräch zu kommen.
    »Welcher Fall? Dieser Mord auf der Müllkippe?«
    »Ja, natürlich, Blanche. Einen anderen gibt es im Moment
nicht.«
    In der nächsten halben Stunde schilderte ihr Samuel mit
einigen Unterbrechungen – Blanche musste immer wieder Gäste
bedienen – den Fortgang der Ermittlungen. Dann erschien
endlich der Barkeeper, der sich ausgiebig entschuldigte, weil er eine
Stunde zu spät kam. Das verschaffte Blanche eine kurze Verschnaufpause.
    »Ich habe seit dem Frühstück nichts mehr gegessen und mir
deshalb was vom Chinesen geholt«, sagte sie zu Samuel. »Hättest du
Lust, mir im Büro Gesellschaft zu leisten? Wenn ich nämlich im Lokal an
einem Tisch esse, kommt ständig jemand mit irgendwas an.«
    Zusammen mit Excalibur gingen sie in Melbas kleines Büro.
Blanche schaltete die Lampe mit dem rosafarbenen Schirm an, dann
setzten sie sich auf die beiden einzigen Stühle, die es dort gab. Auf
dem Schreibtisch stand eine Tüte mit dem Logo eines chinesischen
Restaurants. Blanche nahm einen Karton mit gebratenem Reis, eine
Packung Sojasoße, Essstäbchen, zwei Glückskekse und eine
Papierserviette heraus.
    »Möchtest du auch was? Ist allerdings vegetarisch.«
    »Nein, danke.«
    »Das Wichtigste hast du mir noch gar nicht erzählt. Was war
mit Lucine?«
    »Wie es scheint, schreiben sie und Janak sich wieder Briefe,
aber das ist auch schon alles, was ich weiß. Janak spricht so gut wie
gar nicht darüber.«
    Mit einem schelmischen Grinsen, dem ersten richtigen Lächeln
an diesem Abend, griff Blanche nach den Essstäbchen. »Dann dauert es
nicht mehr lange«, sagte sie und schob sich den ersten Bissen in den
Mund.
    »Was dauert nicht mehr lange?«
    »Hör gut zu, was ich dir jetzt sage, Samuel. Es dauert nicht
mehr lange, und die beiden sind wieder zusammen.«
    »Mich beschäftigen andere Dinge als Janaks Liebesleben«, sagte
Samuel.
    »Zum Beispiel?«
    Das war die Gelegenheit, auf die Samuel schon lange gewartet
hatte. »Mein eigenes Liebesleben«, platzte er heraus und nestelte
nervös an der Verpackung eines der Glückskekse herum.
    Weil Blanche den Mund voll hatte, antwortete sie nicht. Sie
musterte ihn mit ihrer unergründlichen Miene von Kopf bis Fuß und kaute
einfach weiter, während Samuel scheinbar fasziniert den Glückskeks
betrachtete.
    Plötzlich stieg ihm ein übler Geruch in die Nase. Sein erster
Gedanke war, Blanche hätte Blähungen, und er errötete heftig. Sie ist
schließlich auch nur ein Mensch, dachte er nachsichtig. Doch als er
aufblickte, sah er trotz des rosafarbenen Lichts, dass auch Blanche
errötete. Sie hielt mit den Essstäbchen auf halbem Weg zu ihrem Mund im
Kauen inne und sah Samuel fragend an.
    »Entschuldigung, aber das war nicht ich.« Samuel war tief
bestürzt, dass Blanche ihn im Verdacht hatte.
    In diesem Moment fielen beider Blicke auf Excalibur, der mit
wahrer Unschuldsmiene zu ihnen hochblickte. Blanche schluckte

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