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Giftiges Grün

Giftiges Grün

Titel: Giftiges Grün Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elsemarie Maletzke
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plötzlich eilig zu haben.
    »Jetzt müssen wir uns aber wirklich verabschieden«, trillerte sie, als habe sie schon wiederholt zum Aufbruch gedrängt. »Haben Sie vielen Dank für den Tee.« Linas letzte Gelegenheit war gekommen.
    »Können Sie mir Madame Bruants Adresse geben?«
    »Sie geben wohl nie auf?«, erwiderte Gerswiller. »Nein, kann ich nicht.«
    »Bitte!«, sagte Lina. »Ich muss mit ihr sprechen. Verstehen Sie nicht, dass mir auch an dem Haus liegt und dass ich nicht nur aus Neugier hier herumschnüffele? Ich bin sehr gern in Buchfinkenschlag gewesen, als ich klein war.« Und weil sie sich noch immer über seinen Sarkasmus ärgerte, fügte sie hinzu: »Und ich hatte auch meinen Onkel Heinrich sehr gern. Wenn er schreibt, dass ihn keine Schuld trifft, dann glaube ich ihm das.«
    »Ihr Wagen steht sicher unten an der Straße«, sagte er, als habe er sie nicht gehört. »Ich bringe Sie hin. Dann müssen Sie nicht durch den ganzen Park zurücklaufen.« Er nahm einen Schlüsselbund vom Schreibtisch und ging voraus. Hinter dem Haus herrschte die gleiche geheimnisvolle Aufgeräumtheit wie drinnen. Der Hof zwischen zwei niedrigen Anbauten war leer bis auf eine Regentonne, um die grüne Farnwedel sprossen. Hinter dem offenen Fenster des rechten Anbaus lief ein Motor und dünstete Dieselschwaden aus. Seine Stromversorgung, dachte Lina. Hier kann er so laut herumstänkern, wie er will. Auch eine Form von Autarkie; wie das Feuerholz, das in gleichmäßigen Scheiten unter dem linken Vordach gestapelt war. Mitten im Hof stand ein Landrover ohne Türen und Nummernschild. Gerswiller half Berta auf den Beifahrersitz.
    »Hier gut festhalten!« Als er sich umdrehte, war Lina entschlossen. Sie berührte leicht seinen Arm.
    »Johann Gerswiller. Erinnern Sie sich noch, dass Sie mir mit der Hacke die Zweige vom Kirschbaum runtergezogen haben? Und dass einer abbrach und wir ihn zusammen versteckt haben, damit es kein Donnerwetter gab, und dass der Gärtner ihn doch gefunden hat …«
    »… und ich furchtbar eine geschmiert bekam.« Beide lachten. Dieses Grübchen! dachte Lina.
    »Geben Sie mir Ihre Handynummer. Ich hab’ keine Ahnung, wo Madame steckt; muss ein bisschen rumtelefonieren.«
    Lina nahm auch diese Gelegenheit wahr.
    »Sie erreichen mich im Festnetz unter der Nummer des Hotels Augusta«. In der Manteltasche fand sie einen alten Fahrschein und einen Bleistift.
    »Sie wohnen im Hotel?«
    »Es ist meins«, sagte Lina und reichte ihm die Nummer. Er grinste, stieg ein und versetzte den Landrover in rappelndes Beben. Dann fuhr er auf einen Schotterweg und zügig weiter durch das hohe gelbe Gras. Die Halme schabten am Autoblech, die warme Luft vibrierte vom Schellen der Grillen. Lina auf dem Rücksitz lachte.

    Gerswiller setzte sie vor dem Ortsschild ab, wendete, hob grüßend die Hand und rappelte den Weg zurück. Berta Weil wartete nicht, bis der Landrover verschwunden war.
    »Linchen, hast du das gesehen? Dieser Garten! Hast du das gesehen?!
    »Ja, Mama, wir sind durch gegangen.«
    »Das meine ich ja. Er hat uns buchstäblich mit der Nase darauf gestoßen. Der ganze Garten, dieses ganze – dieses ganze Kraut!« Sie verzichtete des stärkeren Eindrucks wegen auf die lateinische Nomenklatur: »Eisenhut und Rizinus, Goldregen, Duftsiegel, Fingerhut, Osterluzei und himmelblaue Trichterwinde. Die Eibe, die Ligusterhecke. Und Schlafmohn! Ich bin sicher, den darf man gar nicht anpflanzen. Und dann noch diese monströsen Engelstrompeten neben der Tür! Das ist eine einzige Apotheke und das meiste davon hoch giftig! Mich traf bald der Schlag. Ich wage mir gar nicht auszumalen, was der alles noch in seinem Gewächshaus anbaut. Melonen, mein Gott! Weißt du, dass ich tausend Tode gestorben bin, als er den Tee aufgoss?«
    »Na, du lebst ja noch«, antwortete Lina und ließ den Wagen an. »Kann ich jetzt eins von deinen belegten Broten haben? Käse, wenn welcher da ist. Nach diesem tollen Aperitif habe ich einen Mordshunger.«
    »Ich wollte dir ein Zeichen geben, dass du nicht davon trinken sollst, ehe er ihn nicht selbst probiert hatte, aber du hattest ja nur Augen für diesen – für diesen Krauter! Und gibst ihm auch noch deine Telefonnummer!«
    »Mama, der Mann wird ja wohl wissen, was genießbar ist. Es war Pfefferminztee. Du siehst Gespenster.«
    »Ich sehe was, was du nicht siehst«, erwiderte ihre Mutter und brachte ein Brot mit Roquefort zum Vorschein. Damit hatte die Gärtnerin unbestreitbar Recht, auch wenn sie

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