Giftiges Grün
Tassen? Bei mir gibt das immer ein furchtbares Geklapper. Nein, du musst mir nicht helfen; ich kann mich alleine hinsetzen. Nur hinfallen darf ich nicht, dann kracht wieder irgendein Knochen und ich schrumpfe noch ein Stück zusammen.«
Sie schob sich vorsichtig in den Sessel am Fenster und musterte ausführlich sein Gesicht und das Pik-As-Tatoo auf seinem Unterarm.
»Wenn ich dich so sehe, dann habe ich direkt unseren Heinrich vor mir«, sagte sie lächelnd. »Du hast was um den Mund herum, wie er, nur nicht ganz so verschlagen. Na ja, nicht verschlagen«, wiegelte sie ab, »aber ein großer Tunichtgut war er wohl; einer, der an vielen Schürzenbändeln gezogen hat. Bist du ein Tunichtgut, Karl?« Sie freute sich über ihren kleinen Affront und seinen milden Protest. Dann wandte sie sich steif zu Plüschko um.
»Kriegt der Hund auch ein Stück Kuchen?«
»Nein, das bekommt ihm nicht.«
»Dann auch keinen Kaffee«, entschied Tante Tilly und ließ drei Löffel Zucker in ihre Tasse rieseln.
»Was möchtest du denn von mir wissen, Karl?«
Er hatte sie am Telefon gefragt, ob sie sich an die Villa Buchfinkenschlag erinnere, ob sie ihren Bruder Heinrich dort besucht habe und ob sie vielleicht im Juni 1977 auf dem Sonnenwendfest gewesen sei, als diese Marion Soundso zu Tode kam. Sie hatte dreimal Ja gesagt.
»Ich möchte wissen«, sagte Karl, »wie Onkel Heinrich nach Buchfinkenschlag kam. Wer war Rose? Wer war Marion? Warum glaubte er, dass sie das Opfer eines ruchlosen Verbrechers wurde? Was ist in dieser Nacht geschehen?« Und Tante Tilly erzählte es ihm.
Das Sonnenwendfest auf Buchfinkenschlag war ein jährlicher Höhepunkt in Tante Tillys gesellschaftlichem Leben. Dann strahlte das Haus aus allen Fenstern in die Nacht hinaus und die Terrasse war immer wunderbar mit Lampions und Blumengirlanden und grünen Zweigen dekoriert. Besonders gern erinnerte sie sich an einen Herrn Stutz, der etwas bei der Bundeswehr war. Auf zwei Festen hatten sie miteinander getanzt und getändelt, bis Herr Stutz sich dann doch für eine Ingeborg entschied. Die hatte er nicht in Buchfinkenschlag kennengelernt. Sie war Avon-Beraterin.
»Aber das«, sagte Tante Tilly einfühlsam, »willst du ja gar nicht von mir hören, lieber Karl. Er fiel mir nur als Erstes ein, dieser Herr Stutz. Du willst etwas über Heinrichs Frau wissen. Röslein hat er sie genannt. Dabei konnte sie ganz schön pieksen, wenn ihr jemand nicht passte. Groß und schlank war sie und mit viel schwarzem Haar auf dem Kopf, eine richtige Erscheinung. Sie hatte auch eine Menge Geld geerbt. Nein, eigentlich war sie ja nicht seine Frau, das wusstest du doch, nicht wahr? Den Mann – seinen Namen hab ich jetzt nicht parat – den gab es ja noch irgendwo. Ich glaube, sie hat ihn ausquartiert.« Tante Tilly spießte vergnügt die Kuchengabel in den gedeckten Apfel.
»Unser Heinrich war aber auch nicht so ohne! Der hatte immer mehrere Bräute. Wenn die sich bei uns zu Hause in die Wolle gerieten, hat er seine Mütze genommen und weg war er; hat sich ein windstilles Plätzchen gesucht. Unsere Mutter musste dann schlichten. Ich könnte also nicht beschwören, dass auf seiner Seite wahre Liebe im Spiel war, als er sich dieser Rose angenehm gemacht hat. Vielleicht hat er da auch ein bisschen gemogelt.
Du weißt doch sicher, dass die Weils eine alte Försterfamilie sind. Auf dem Bild über der Anrichte, das ist unser Großvater Adam. Der war Revierförster beim Fürsten von Ysenburg und Heinrichs großer Kummer war, dass er nicht auch Förster werden konnte, weil er doch eine Brille trug. Stattdessen hat er in einer Baumschule gelernt, aber das ging nicht lange gut. Ich glaube, er hat in dieser Schule ein paar Mal zu oft gefehlt, weil er lieber unseren Vetter Fritz besucht hat. Der war Forstverwalter in Buchfinkenschlag. Heinrich brachte ein Pfund Bohnenkaffee mit und blieb sechs Wochen. In dieser Zeit ging er mit dem Fritz auf die Jagd und durfte auch mal schießen. Auf große Hirsche und alles, was man so im Wald antrifft.« Tante Tilly lachte nachsichtig.
»Auf einer Jagdgesellschaft hat er dann Rose kennengelernt. Das war eine vornehme Dame und unser Heinrich nur so ein verhinderter Förster, aber er konnte sie um den Finger wickeln; ein schmucker Mann, trotz der Brille, Gardemaß, und ein guter Tänzer. Auf dem Fest hat er immer mit allen Damen getanzt, sogar mit mir, seiner kleinen Schwester. – Ich hab doch so gern getanzt.«
»Erzähl mir von dem Fest«, bat
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