Giftiges Grün
vorbereitet. Ihre Photoalben, braune Kunstlederbände, die von Kordeln mit seidigen Quasten zusammengehalten wurden, lagen auf dem Couchtisch. Antiquar Weil nahm auf der Sofakante Platz, packte ein kleines schwarzsilbernes Gerät und ein Notizbuch aus, von dem er tatkräftig das Gummiband herunterschnalzte, während sich der Hund ergeben unter den Tisch fallen ließ. Sie schenkte Limonade ein, die der Besucher als sehr erfrischend lobte. Dann drückte er an dem Gerät herum, bis ein rotes Lämpchen aufleuchtete, schob es ihr über den Couchtisch entgegen und lud sie mit einer Handbewegung ein zu beginnen.
Fräulein Marie hatte nichts vergessen. Sie erinnerte sich an jedes Zimmer, an die Stuckverzierungen, die Vertäfelung, die Türknäufe aus Messing. Sie erinnerte sich an die Möbel, die abgestaubt, das Parkett, das gebohnert, das Silberbesteck und die vielen bunten Fensterscheiben, die geputzt werden mussten, an das feine Bone China mit den Rosen, in dem sie nachmittags den Tee servierte, an die große Küche mit der Marmoranrichte im Souterrain, den Speisenaufzug und die erste Tiefkühltruhe. Sie erinnerte sich an die Köchin Waltraud und an den Gärtnerburschen Johann, der jeden zweiten Tag frische Blumen ins Haus brachte. Der Dokumentar schrieb ihre Vor- und Nachnamen in sein Buch.
Dann zeigte Fräulein Marie ihm die Photos von Heinrich Weil und Madame, von ihrem Opel Kapitän, der in der Auffahrt parkte, von der Sonnenuhr im Garten, auch ein Bild von sich und Waltraud in weißen Schürzen auf der Treppe und eins, das ein junges Mädchen auf einer Schaukel zeigte. Die Schaukel hing in einem Baum, die Sonne schien durch das Laub und wegen der scharfen Kontraste sah man nicht sehr viel von ihr, nur, dass sie ein rotes Kleid trug, ihre Haare zum Pferdeschwanz gebunden hatte und kokett in die Kamera schmollte. Ob dies Marion sei, fragte er. Fräulein Marie wunderte sich, dass er von ihr gehört hatte. Das Mädchen auf der Schaukel weilte nur kurze Zeit in Buchfinkenschlag. Kaum ein viertel Jahr. Hatte der Herr Onkel sie erwähnt?
Was für eine Art Person sie war? Sie sei sehr hübsch gewesen, aber viel zu dünn. Nichts von dem, was Waltraud auf den Tisch brachte, habe ihr geschmeckt. Und Waltraud sei eine sehr gute Köchin gewesen. Sie habe nämlich in der Schweiz gelernt. Ihr Zürcher Geschnetzeltes wurde immer wieder von Herrn Weil verlangt. Aber Marion … Er kenne doch sicher die Geschichte vom Suppenkasper. So wurde auch dieses Mädchen, immer magerer.
Und sonst? Etwas Auffälliges, vielleicht etwas – eh, Provozierendes in ihrem Verhalten Herrn Weil gegenüber? Sie schien ihn nicht zu verstehen. Aufsässig? Eher launisch; ganz fröhlich und im nächsten Augenblick außer sich vor Zorn. Mehr wie eine Fünfjährige, sagte sie zögerlich. Dass Marion in ihrem, Fräulein Maries Zimmer, heimlich geraucht hatte und dass danach zwei Zehn-Mark-Scheine in ihrem Portemonnaie fehlten, erzählte sie ihm nicht; jedoch dass es oft lauten Streit zwischen ihr und Madame Weil gegeben habe, das heißt, Marion war laut, Madame eher leise.
»Manchmal hat sie das ganze Haus zusammengekrischen«, sagte Fräulein Marie noch immer bekümmert. Erinnerte sie sich auch an den Bruder von Madame, einen Herrn – der junge Mann blätterte in seinem Buch – Poussé? Allerdings, Herrn Doktor de Poussé, eine stattliche Erscheinung, groß und blond mit einem roten Bart, leider kriegsversehrt. Aber trotzdem hatte er ein Sportwagencoupé, ein spezielles Auto, in dem er alles mit der Hand bediente. Einmal kam er zu Besuch vorgefahren, dass der Kies nur so spritzte, und während er auf der Terrasse Kaffee trank, durfte Marion sich ans Steuer des Autos setzen und so tun, als würde sie davonrasen. Manchmal sei sie eben närrisch wie ein kleines Kind gewesen und Herr Doktor de Poussé habe seinen Spaß gehabt. Obwohl er ja sonst nicht so viel zu lachen hatte mit dem einen Bein.
Ob der Doktor oft zu Besuch gekommen sei? Nicht sehr oft, räumte Fräulein Marie ein. Er und Herr Weil seien keine Freunde gewesen. Doktor de Poussé habe dem Herrn Onkel übel genommen, dass der den Krieg in einer Schreibstube abgesessen habe, während er in Russland seine Knochen für die Nazis hinhalten musste. Da seien harte Worte gefallen, die Fräulein Marie hier lieber nicht wiederholen mochte. Sie blickte bedeutungsvoll auf das Gerät mit dem roten Lämpchen.
In der Dokumentation sollte natürlich auch das Ende der Villa Buchfinkenschlag vorkommen. Das
Weitere Kostenlose Bücher