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Giftiges Grün

Giftiges Grün

Titel: Giftiges Grün Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elsemarie Maletzke
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wollte Weil junior ganz genau hören. Fräulein Marie versicherte sich durch Fragen, deren letzte Worte unausgesprochen über dem Couchtisch hängen blieben, dass er von den Umständen und Marions Tod gehört hatte. Selbstverständlich erinnerte sie sich auch an das Fest zur Sonnenwende. Sie und Johann hatten ja selbst die Terrasse geschmückt und abends Getränke serviert. Der arme Johann, er sei so verschossen gewesen in dieses Mädchen.
    Immerhin, wandte der junge Herr Weil ein, sei Marion das Opfer gewesen und nicht der arme Johann.
    »Das Opfer«, schnaubte Fräulein Marie, »ja, das ist sie gern gewesen. Es waren immer die anderen, die ihr Unrecht taten. Sie selbst konnte kein Wässerlein trüben.« Fräulein Marie verschränkte die Arme vor dem großen Busen und klappte den Mund zu, aber dann musste es doch heraus. »Wenn ich mal eine spitze Bemerkung über Waltraud gemacht habe, hat sie die prompt weiter getragen und Waltraud war tagelang böse mit mir.«
    Und da er nun schon einmal gefragt hatte und sie es damals nicht übers Herz bringen konnte, vor Madame zu sprechen, musste sie dem Neffen von Heinrich Weil, diesem netten, anständigen Herrn, der immer so gütig zu Marion war und dem diese junge Person so übel mitgespielt hatte, nun doch die Sache mit dem Turm erzählen. Während des Festes waren er und Marion nämlich dort hinaufgestiegen. Es war eine klare Nacht, der Mond war noch nicht aufgegangen und Herr Weil hatte aus der Vorhalle das Fernglas mitgenommen, um die Sterne zu beobachten.
    »Ich konnte ja nicht ahnen, was auf dem Turm los war«, sagte Fräulein Marie, »es gab Gerumpel, wie wenn ein Stuhl umfällt, und Geschrei.« Sie war auf dem Weg nach oben, um Fleckensalz zu holen, denn eine der Damen hatte sich Rotwein übers Kleid geschüttet, als Marion treppab an ihr vorbeigeschossen kam, »und sie lachte, Herr Weil, ich bin ganz sicher, dass sie lachte! Oh, sie war ein solcher Satansbraten! Madame kam hinzu und ich hörte, wie Marion Ihren Herrn Onkel vor Madame beschuldigte, sie unsittlich angegriffen zu haben, Sie verstehen?«
    Der Neffe nickte, schrieb ein Wort in sein Buch und setzte ein Ausrufezeichen dahinter.
    »Madame war außer sich; die drei sind im Salon verschwunden, und es hat eine Weile gedauert, bis sie wieder herausgekommen sind. Ihr Herr Onkel war äußerlich sehr gefasst, aber ich habe ihm natürlich angemerkt, dass er sich entsetzlich aufgeregt hatte. Marion wusste nicht so recht, was sie machen sollte. Sie konnte ja schlecht vor den anderen Gästen mit ihrem Abenteuer angeben, aber sie musste es einfach loswerden. Also kam sie zu mir. Und wissen Sie, wissen Sie, was sie gesagt hat, Herr Weil? Sie hat gesagt, dem hab ich’s gezeigt. Und dass sie sich das alles ausgedacht hatte, und selbst da oben die Stühle umgeworfen und sich die Knöpfe aufgerissen und geschrieen und ihn gekratzt hatte, nur um Ihren Herrn Onkel bei Madame in Misskredit zu bringen, denn sie konnte ihn partout nicht leiden und wollte, dass Madame ihn vor die Tür setzte. Und genau das ist geschehen, auch wenn Marion sich nicht vorgestellt hätte, dass sie dazu erst sterben musste.«
    Der junge Herr Weil richtete sich von der Sofakante auf, klappte sein Notizbuch zu, zog den kleinen Apparat zurück und hantierte damit, bis das rote Licht erlosch. Er schien sehr bewegt. Dann erzählte er Fräulein Marie von dem Testament seines Onkels und warum er wirklich gekommen war. Lediglich die dreißigtausend Euro ließ er unerwähnt. Sie hob ihr Glas und versicherte ihm, sie werde ihre Geschichte gern an geeigneter Stelle wiederholen, wann und so oft er wolle. Der Neffe Karl erhob das seine. Die Holunderblütenlimonade war wirklich sehr erfrischend.

    Am Morgen des Tages, als Lina ihre Tante Rose in Straßburg besuchen wollte, stand sie vor dem Kleiderschrank und wusste nicht, was sie anziehen sollte. Der Tag war warm und sonnig, aber zur Auswahl standen nur ihre weißen Blusen, die sie dreimal am Tag wechselte wie ein englischer Dandy des 18. Jahrhunderts sein Hemd, und eine Reihe gut geschnittener Kostüme. Angesichts von grauem Flanell, Pfeffer-und-Salz-Tweed, schwarzem Kaschmir und ein paar völlig undiskutablen Stücken, die sie nachts auf dem Sofa trug, wenn sie den Spätfilm ansah, sank ihr der Mut. Sie nahm das Seidenkleid mit den Klatschmohnblüten aus Onkel Heinrichs Nachlass heraus und hielt es auf Schulterhöhe. Dann zog sie es vom Bügel und schlüpfte hinein. Es floss an ihr herab, über ihre kleinen

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