Giftiges Wasser
Einfamilienhaus zugingen. »Wir blamieren uns bei Jean, wenn wir mit leeren Händen aufkreuzen.«
In Justus’ Schulter meldete sich wieder dieses schmerzhafte Pochen. Aber es kam ihm schwächer vor als am Vortag. Er beschloss, nicht weiter darauf zu achten. »Ich finde, für nicht einmal einen Tag Arbeit haben wir ganz schön viel herausgefunden«, widersprach er. »Was fehlt, ist eine Formel, nach der sich die Einzelheiten zusammensetzen lassen.«
Bob schaute Justus schräg an. Formeln waren die neue Leidenschaft des Ersten Detektivs. Im Chemieunterricht war er zuletzt kaum noch zu bremsen, von Mathe und Physik ganz zu schweigen. Bob hatte damit so seine Schwierigkeiten und wollte an diesem sonnigen Ferientag nicht unbedingt daran erinnert werden.
Sie standen vor dem Haus, in dem Marcel wohnte. »Schaut noch ziemlich verschlafen aus.«
Justus nickte und klingelte. Fast im nächsten Augenblick drehte sich ein Schlüssel im Schloss. Die Tür wurde geöffnet. Sie sahen in das Gesicht des mexikanischen Mädchens.
Blitzschnell stellte Justus seinen Fuß in den Spalt. Er kam sich dabei eigentlich blöd und aufdringlich vor. Das Mädchen riss auch sofort ängstlich die Augen auf. Aber Justus wollte sich nicht ein zweites Mal abschütteln lassen.
»Wir suchen noch immer Mister Marcel Hancock«, sagte er ruhig.
»Der ist nicht da.« Das Mädchen drückte die Tür gegen seinen Fuß. Sie hatte fast schwarze Augen und eine auffallende Hautfarbe, die sich kaum von ihrem zimtbraunen T-Shirt unterschied.
»Vielleicht bei René«, mischte sich Bob ein.
Sie schüttelte mit traurigem Blick den Kopf.
»Oder bei Alysia?«
»Alysia?« Sie zuckte heftig zusammen.
»Wie heißt du?«, fragte Bob, um das Gespräch nicht abreißen zu lassen.
»Sinagua«, antwortete sie in einem singenden Tonfall, der dem Namen einen besonderen Klang gab.
»Wir sind Bob und Justus. Wir müssen Marcel sprechen. Es ist wichtig. Auch für ihn.«
Das Mädchen dachte angestrengt nach. »Also gut.« Mit einem Ruck öffnete sie die Haustür. »Aber Marcel ist nicht da.« Sie sah die Jungs flehend an. »Wirklich nicht!«
Im Flur war es dunkel, weil mit einer Ausnahme alle Zimmertüren geschlossen waren.
»Kommt mit in die Küche.« Sinagua ging voraus. In einem großen Raum öffnete sie die Fensterläden. Justus und Bob sahen sich um. Die Küche war mit zusammengetragenen, aber liebevoll restaurierten Stücken eingerichtet. Ein großer alter Herd stand neben dem Fenster und ein lang gestreckter Holztisch in der Mitte.
»Schön habt ihr’s hier.« Bob war diese gemütliche Küche auf Anhieb sympathisch und nahm ihn für die Menschen ein, die hier wohnten.
Das Mädchen lächelte zum ersten Mal. Es hatte die schwarzen Haare zu einem dicken Zopf geflochten, der weit in den Rücken hing.
»Setzt euch, ich mach Kaffee.« Ohne die Jungs aus den Augen zu lassen, begann sie am Herd zu hantieren.
»Wir kommen aus der Nähe von Los Angeles«, begann Justus.
»Das habt ihr gestern schon gesagt«, unterbrach ihn das Mädchen mit einer Ungeduld, die nicht zu ihrem bisherigen Auftreten passte. »Was wisst ihr von Alysia?«
»Wenig«, gab Bob zu.
Justus hielt es für besser, etwas mehr aufzutrumpfen. »Wir sind dem Erpresser auf der Spur«, sagte er.
Sie riss die Augen auf. »Tatsächlich?«
Der Erste Detektiv nickte.
»Aber Marcel ist wirklich nicht hier«, wiederholte sie. Zögernd kam das Mädchen auf sie zu. Sie hatte feuchte Augen. Sie straffte sich, nahm einen Stuhl und setzte sich rücklings darauf. »Ihr seid nicht von der Polizei?«
»Nein«, antworteten Bob und Justus fast gleichzeitig.
»Ich brauche eure Hilfe.« Plötzlich ließ sie ihren Kopf auf die Stuhllehne fallen und begann zu weinen.
Als Sinagua schließlich erzählte, überlegte Justus, ob sie Vertrauen zu ihnen gefasst hatte oder einfach einem inneren Druck nicht mehr standhalten konnte. Jedenfalls kam sie nicht aus Mexiko. Sie war Indianerin, ihr Name bedeutete »Ohne Wasser«, weil sie im Reservat der Hopi-Indianer nördlich von Flagstaff aufgewachsen war, in einem Ort ohne jeden Brunnen und ohne Bewässerung. Vor zwei Jahren war sie nach Sedona gekommen, hatte in einem der Kunstgewerbeläden der Stadt gearbeitet und Alysia kennengelernt, die an einer Reportage über Billigjobs für Indianer arbeitete. Bald darauf lernte sie auch die beiden Hancock-Brüder kennen. Marcel und sie verliebten sich, und eigentlich hatten sie in diesem Herbst heiraten wollen, die Hochzeit aber wegen
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