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Giftkuss

Giftkuss

Titel: Giftkuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zara Kavka
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sie nicht an Überirdisches glaubte, kam ihr der Gedanke, Anja säße irgendwo da oben und würde ihr mit diesen Sonnenstrahlen den Weg weisen. Schnell ging sie zu der Truhe und öffnete den Deckel. Stoff. Sie wühlte bis ganz nach unten, fand aber nichts als dicke, schwere Vorhänge. Schließlich verschloss sie die Truhe wieder und setzte sich darauf.
    »Ich fange mit dem Schrank an«, sagte Cleo. »Anja war auf der Suche nach Klamotten fürs Musical, als sie diese Sache über ihren Stiefvater herausgefunden hat.«
    Katharina dachte an die gelbe Blechdose, die sie mit nach Hause genommen hatte. In diesem Schrank hatte Anja sie also gefunden.
    Cleo öffnete die rechte Schranktür und tastete den Boden ab. »Mist, wir bräuchten eine Taschenlampe!«, schimpfte sie und kroch noch tiefer in den Schrank hinein.
    Eine Lampe hatte Katharina. Sie benötigte sie manchmal bei der Untersuchung der Leichen oder in der Putzkammer vom Heim. Als sie ihre Tasche öffnete, um sie herauszuholen, fiel ihr Blick auf die Plastiktüte, in die sie das T-Shirt gepackt hatte.
    Mensch, das ist es.
    Schnell machte sie die Tasche wieder zu, drückte sie fest an ihren Bauch und ging rüber zu Cleo. »Lass mich mal«, rief sie in den Schrank hinein. »Ich habe gute Augen.«
    Cleo kam mit dem Hinterteil zuerst aus dem Schrank gekrochen. »Danke«, sagte sie und richtete sich wieder auf. Sie klopfte den Staub aus ihren Klamotten und Haaren.
    »Du kannst dir ja da drüben den alten Sekretär anschauen«, schlug Katharina vor und zeigte auf den dunklen, kleinen Holzschreibtisch, der exakt in der anderen Ecke des Dachbodens stand. Cleo nahm ihren Vorschlag an.
    Jetzt musste Katharina sich beeilen. Das Tagebuch konnte genauso gut in dem Sekretär sein. Sie drehte Cleo den Rücken zu und stellte sich dicht vor den Schrank. Unbemerkt öffnete sie ihre Tasche. In dem Moment gab Cleo einen Schrei von sich.
    Erschrocken fuhr Katharina zusammen, schloss die Tasche wieder und lief zu Cleo, die zusammengesunken vor einem Umzugskarton hockte. Katharina las in großen Buchstaben: ANJAS KISTE.
    Cleo hatte sie geöffnet, die vier Laschen hingen zu allen Seiten herab. Katharina kniete sich neben Cleo und betrachtete das Sammelsurium in der Kiste. Sie sah eine Puppe, einen kleinen Rucksack und ansonsten lauter bunte Dinge, die sie auf den ersten Blick nicht identifizieren konnte. Cleo zog die Nase hoch und erst jetzt registrierte Katharina, dass sie weinte. In ihrer Hand hielt sie die Hälfte eines Lebkuchenherzens und drückte es an ihre Brust. Katharina saß stocksteif da und hätte doch nichts lieber getan, als Cleo zu trösten. Aber wie? Ungelenk legte sie ihren linken Arm auf Cleos Schulter, sagte jedoch nichts.
    »Hast du ein Taschentuch?«, fragte Cleo und Katharina kramte eines hervor und gab es ihr.
    »Was ist das für ein Herz?«
    »Es ist…«
    Cleo schnäuzte sich und rieb sich anschließend mit demselben Tuch das Gesicht trocken. Es war brütend heiß hier oben.
    »Es ist unser Lebkuchenherz. Wir haben es von unserem ersten Taschengeld gekauft. Es reichte nur für eins. Wir waren sechs Jahre alt, gerade in die Schule gekommen. Es machte uns nichts aus, dass wir nur Geld für ein Herz hatten, wir haben ja eh alles geteilt. In unserem Hochstand haben wir es dann in der Mitte durchgebrochen.«
    »Hast du die andere Hälfte noch?« Katharina nahm möglichst unauffällig den Arm von Cleos Schulter. Es fühlte sich komisch an, vor allem, weil sie nicht wusste, wo sie mit ihrer Hand hinsollte, die hing so eigenartig herunter.
    Cleo antwortete nicht. Sie legte das halbe Herz in ihren Schoß und strich mit dem Zeigefinger über die weiße Zuckerschrift: Für.
    »Für immer stand drauf. Das immer ist meins. Wir haben uns damals geschworen, für immer zusammenzubleiben.«
    »Das ist schön.«
    »Ja, das war sehr schön. Und jetzt…«
    Sie schnäuzte sich noch einmal in das Taschentuch und Katharina gab ihr ein neues.
    »Jetzt ist sie weg. Es ist, als hätte man einen Teil von mir abgehackt. Aber weißt du, was das Schlimmste ist?«
    »Hmmm?«
    Cleo fing wieder an zu weinen.
    »Sie hat ihres aufgehoben, genau so, wie wir es verabredet haben. Und ich…« Jetzt schluchzte sie laut auf. »Ich habe meins längst weggeschmissen.«
    Sie pfefferte mit voller Wucht das Herz zurück in die Kiste und rief: »Ich bin eine total beschissene Freundin. Ich bin nichts wert, nichts, nichts, NICHTS!«
    »Aber Cleo, das stimmt doch gar nicht. Du bist eine sehr gute

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