Giftkuss
Internetanschluss hatten. Aber jetzt und heute war dieses Café die beste Lösung. Heim konnte sie nicht, weil ihre Eltern wahrscheinlich jeden Moment zurückkamen und sie ihnen gegenüber ein schlechtes Gewissen hatte. Sie hätte ihnen wegen Anjas Tod natürlich Bescheid geben müssen.
Die Tür zum Internetcafé stand offen, trotzdem war es drinnen total heiß. Überall standen billige Plastikmöbel, die Wand war vergilbt und der Typ mit den langen, fettigen Strähnen hinter dem Tresen sah aus, als hätte er sein Leben schon hinter sich. Cleo bezahlte für eine halbe Stunde und bekam einen Zettel mit einem Zugangscode in die Hand gedrückt.
»Tisch 7«, brummte er. Dann drehte er seine Zigarette fertig und stellte sich vor die Tür zum Rauchen.
Außer ihnen waren noch eine Punkerin und zwei Männer in dem Laden. Die Männer saßen schweigend am Tresen und tranken Bier, die Punkerin schien zu skypen, zumindest saß sie an Tisch 3 und quatschte in einer undefinierbaren Sprache in ein Mikro.
Katharina schob den freien Stuhl von Tisch 8 rüber und sie setzten sich beide vor den Bildschirm. Cleo nahm die Maus und klickte sich bis zu Facebook durch. Gleich würde sie Katharina nach dem Passwort fragen müssen, eine komische Situation. Eigentlich war sie immer diejenige gewesen, die alles über Anja wusste, und nun hatte ihr jemand anderes eine so wichtige Information voraus. Wieder regte sich ihre Eifersucht.
»Für immer«, sagte Katharina plötzlich.
Cleo erschrak. Was soll das? Will sie mich ärgern?
»Ihr Passwort. Für immer. In einem Wort und mit ue.«
»Ach«, sagte Cleo, wollte es eintippen, konnte aber nicht, weil ihre Hände zu sehr zitterten.
»Soll ich?«
Cleo nickte und die beiden wechselten die Plätze.
Katharina tippte das Passwort ein. Anjas Account erschien. Miri hatte ein großes Holzkreuz gepostet und ganz dick WARUM dazugeschrieben. Es folgten 104 Kommentare. Es hatte sich also herumgesprochen.
Cleo starrte auf den Bildschirm. All diese Kommentare, das Kreuz, Anjas Profilbild. Wieder wurde Anjas Tod ein Stückchen realistischer. Erst wenn man in Facebook In einer Beziehung postete, existierte die neue Liebe. Genauso funktionierte es scheinbar mit dem Tod.
Anjas Profilbild hatte Cleo vor einiger Zeit aufgenommen. Sie liebte dieses Lachen. Das Foto war mitten in einem Lachkrampf entstanden. Anjas Lachkrämpfe waren legendär. So kindlich und laut.
»Okay… der Kerl heißt, glaub ich, Matthias, warte….«
Cleo verscheuchte Anjas Lachen aus ihrem Kopf und konzentrierte sich wieder. Katharina gab Matthias Wolff in die Suchleiste ein und da war er. Sie klickte ihn an und seine Seite öffnete sich.
»Ist er das?«, fragte Katharina.
»Ja. Schau mal, die Nase, die war bestimmt mal gebrochen.«
»Ich finde ihn gar nicht so schlecht«, sagte Katharina und Cleo wunderte sich. So ein Satz passte nicht zu ihr, oder vielleicht doch? Möglicherweise brauchte sie nur ein bisschen Zeit.
»Hast du einen Freund?«
Katharina lief von einer Sekunde auf die andere rot an und Cleo hätte die Frage am liebsten wieder zurückgenommen.
»Tut mir leid«, schickte sie schnell hinterher. »Das geht mich nichts an. Also, ich habe keinen, falls es dich interessiert.«
»Ich auch nicht.«
Die beiden lächelten einander an. Erneut stellte Cleo fest, dass sie Katharina mochte. Sie wirkte so zerbrechlich, so einsam. Und dann die Sache mit ihrer Mutter, was für eine Belastung… Sie war echt bewundernswert. Anja hatte ihr bestimmt viel bedeutet, denn Anja war Balsam für Menschen mit Problemen. Katharina blickte wieder auf den Bildschirm. Cleo lehnte sich nach hinten und betrachtete sie von der Seite.
Ich werde mich um Anjas willen um sie kümmern, ihr eine Freundin werden, für sie da sein, ihr helfen, ihr zuhören. Das bin ich Anja schuldig.
»Also, ich fang dann mal an«, sagte Katharina und begann zu tippen.
Sehr geehrter Herr Wolff.
Cleo beugte sich wieder vor, um besser mitlesen zu können.
Sie wundern sich vielleicht, dass ich mich heute an Sie wende, aber ich habe Ihnen etwas Wichtiges mitzuteilen.
»Sehr gut«, sagte Cleo.
Schauen Sie bei uns in die Mülltonne. Die steht hinter der Garage. Dort finden Sie einen wichtigen Hinweis.
Viel Glück und herzliche Grüße
Anja Diekamp
»Senden?«
»Senden.«
Katharina klickte. »Hoffentlich geht das gut.«
»Er hat 596 Freunde. Der ist bestimmt oft auf Facebook. Morgen spätestens sitzt Anjas Stiefvater im Gefängnis.«
»Unglaublich.«
Auf dem
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