Giftpilz
den Türrahmen. Immer die Holzhammermethode.
»Was kann ich für Sie tun?«, fragte die Vorzimmerdame in ihrer
professionellen Mischung aus routinierter Freundlichkeit und kühler Distanz.
»Ich bin ein neuer Patient und suche den Bereich, wo ich die
Fangopackungen und Massagen bekomme.«
»Abschnitt C, erstes Obergeschoss«, sagte die Sekretärin, ohne zu
zögern, und widmete sich wieder ihren Unterlagen.
»Schöne Frau, ich habe eine so schlechte Orientierung. Könnten Sie
mir’s vielleicht genauer erklären?«
Sie stand auf, ohne sich etwas anmerken zu lassen, und ging mit
Riesle auf den Gang. Dort verwickelte er sie in immer weitere Erklärungen, bis
sie schließlich sogar paar Meter neben ihm herlaufen und ihm gestikulierend den
Weg weisen musste.
»Noch mal das Ganze von vorne, bitte schön«, gab Klaus den
Begriffsstutzigen und stellte sich so vor sie hin, dass sie Hummel im Rücken
hatte. »Da, wo der Gang sich zweigt, muss ich also rechts?«
»Nein, links!« Die Sekretärin begann trotz ihrer professionellen
Freundlichkeit allmählich zu verzweifeln und atmete gekünstelt tief durch.
»Kommen Sie, ich begleite Sie ein Stück.«
Hummel hatte in der Zwischenzeit auf der Wartebank vor dem Vorzimmer
des Professors Platz genommen. Nun ließ er die Zeitschrift, die sich mit
Prävention von Schlaganfall und Herzinfarkt beschäftigte, unauffällig auf den
gläsernen Beistelltisch rutschen, schlich durchs Vorzimmer und öffnete die Tür
mit der Aufschrift Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Krieg – Ärztlicher Direktor . Zum Glück war diese geschlossen gewesen,
sodass Hummel sie auch wieder hinter sich zumachen konnte. Krieg war offenbar
kein Typ offener Türen.
Mit Riesle hatte er verabredet, dass dieser sich gleich wieder im
Gang auf die Lauer legen und ihn auf dem Mobiltelefon anrufen, es aber nur
einmal klingeln lassen sollte, falls der Chefarzt auftauchte.
Der Plan sah weiter vor, dass Hummel dann über die Terrassentür in
Richtung Kurpark unbemerkt entkam. Zum Glück lag das Büro im Erdgeschoss.
Er warf einen flüchtigen Blick auf den Schreibtisch und sah endlich
das vermeintliche Familienfoto, das ihn schon bei seiner ersten Behandlung so
neugierig gemacht hatte.
Doch im Gegensatz zu seiner ursprünglichen Annahme strahlte ihn
keine aristokratische Frau nebst herausgeputzten Kindern an. Der Herr Professor
schaute in sein eigenes Antlitz, wenn er am Schreibtisch Patientenakten
studierte. Das Foto zeigte ihn, wie er von einem anderen Mann – natürlich in
Anzug und Krawatte – händeschüttelnd eine Mappe entgegennahm. Vielleicht ein
medizinischer Forschungspreis? Reichlich selbstverliebt, dachte sich Hummel.
Vermutlich hatte dieser Krieg so sehr mit Klinik und Karriere zu tun, dass gar
keine Zeit für eine Familie blieb. Noch einmal hatte er sich in ihm getäuscht.
Hubertus spürte jetzt die Nervosität. Er zog eine seiner Karotten
aus der Jackentasche und begann, daran herumzunagen. Derweil streifte sein
Blick diverse Fachbücher vom Pschyrembel bis hin zu Gehirn, Psyche und Körper – Neurobiologie von Psychosomatik und Psychotherapie, dann einen großen
Schrank mit mehreren Dutzend Ordnern. Hier waren die Patienten alphabetisch
sortiert. Hummel widerstand der Versuchung, unter Hu wie
Hummel nachzuschlagen, widmete sich dem Ordner Ausbildung, um dann festzustellen, dass es sich dabei nicht um die des Professors, sondern
des Klinikpersonals handelte. Diverse Zeugnisse waren darin abgeheftet. Der
Chefarzt war offenbar so streng, wie er aussah.
Bis hier nichts Persönliches.
Er öffnete den nächsten Schrank, fand dort sorgfältig gestapelte
Fachzeitschriften sowie weitere Ordner. Einer trug den Titel Abgelehnte Bewerbungen . Auch hier vermied er, diesen
aufzuschlagen. Zielführend vorgehen, ging ihm durch den Kopf. Und weiter an der
Karotte nagen.
Also widmete er sich dem nächsten Ordner. Langsam wurde es
interessant: Fernblick . Hummel fiel ein, dass er das
Foto von Professor Walger noch anderen Leuten in der Klinik zeigen wollte, um
herauszufinden, ob dieser schon einmal – womöglich mit dem verdächtigen
Klinikauto – hier gesehen worden war. Der Sachse hatte ihn nicht gekannt, und
das wollte einiges heißen.
Er überblätterte einige Zeitungsartikel über den Klinikneubau in
Höchenschwand, fand ein Anschreiben des Rechtsanwalts an das Ministerium, in
dem die Tannenklinik zusammen mit einigen anderen Kliniken eine »Klageandrohung«
wegen eines Zuschusses für die Fernblickklinik
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