Giftpilz
der Hand legen, weil er dauernd hin und her zu
schalten hatte. Mit dem Rad aber, da kannte sich Hubertus gut genug aus, würde
er nach der ersten Schinderei aufgeben. Und hier hinauf würde er noch öfter müssen,
denn schließlich wohnte da seine Freundin. Von der er inständig hoffte, dass
sie nun endlich zu Hause sein möge.
Als er um die Ecke bog, machte sein Herz einen leichten Hüpfer: Ihr
Wagen stand vor der Tür.
Hubertus nahm die rote Rose, die er noch in Königsfeld erworben
hatte, vom Beifahrersitz und klingelte an der Tür. Zurückhaltend erst, dann ein
wenig bestimmter, schließlich ungeduldig.
Sie musste doch da sein. War sie so geknickt, dass sie überhaupt
nicht mehr öffnete? Hatte sie ihn draußen auf der Straße gesehen und
verweigerte sich jetzt jedem Gespräch?
Endlich knarzte die Sprechanlage, die schon lange reparaturbedürftig
war. Für gewöhnlich verstand man kaum, was da von oben aus der Wohnung
gesprochen wurde. Aber viele Möglichkeiten gab es ohnehin nicht: Meistens war
es nicht mehr als ein »Ja?«, »Bitte?« oder »Hallo?«.
Hubertus stutzte, denn diesmal ergoss sich ein ganzer Wortschwall
aus der Anlage. Dessen genaue Bedeutung konnte er nicht ermessen – er wusste
nur: Wenn das Carolin war, hatte sie in den letzten vierundzwanzig Stunden
reichlich Hormone zu sich genommen. Mit anderen Worten: Das war die Stimme
eines Mannes!
»Mach auf!«, rief Hubertus und wurde durch den Summer erhört. Drei
Stockwerke waren es und eine echte Herausforderung für seinen Körper. Hummel
nahm nämlich zwei Stufen auf einmal – im zweiten Stock schien ihm die Mehrzahl
seiner sich überschlagenden Gedanken zu signalisieren, dass es einen anderen
Mann in Carolins Leben gab. Einen, mit dem sie sich verdammt schnell getröstet
hatte. Einer, der sich bei ihr schon so zu Hause fühlte, dass er die
Sprechanlage betätigte.
Die Wohnungstür war angelehnt, doch niemand erwartete ihn. Hummel
stürmte hinein und brüllte in einem veritablen Eifersuchtsanfall: »Wo ist er?«
Die Rose in seiner Hand verlieh dem Ganzen eine noch skurrilere Anmutung.
Während Hubertus durch den Flur stürmte, schaute er links in die
Küche, rechts ins Schlafzimmer, dann links ins Bad, rechts in die
Abstellkammer. Nichts! Geradeaus befand sich das Wohnzimmer – und da war er,
saß blöde lächelnd am Tisch. Der Mann, der ihm geöffnet hatte. Der Mann, den er
hasste. Der Mann, der … Sein Nachbar Pergel-Bülow!
»Gut, dass du kommst, Huby«, sagte er gewohnt freundlich.
»Mein Herz«, keuchte Hubertus, für den das alles zu viel war. Er
schnaufte schwer, beugte sich nach vorne, kämpfte mit dem Gleichgewicht,
schnaufte wieder und plumpste matt an den Wohnzimmertisch, an dem auch
Pergel-Bülow Platz genommen hatte.
Durch die breite Fensterfront konnte er die Silhouette St. Georgens
sehen. Es dämmerte, und in den ersten Häusern flackerte Licht.
Neben Pergel-Bülow saß Carolin. Schweigsam und mit einem Blick in
den Augen, den Hummel nicht zu deuten vermochte. Daraus sprachen Müdigkeit,
Enttäuschung, vielleicht auch ein Schuss Aggressivität.
In Hubertus regte sich eine Mischung aus Übelkeit und schierer
Fassungslosigkeit. Er wollte etwas sagen, schwieg dann aber, als er bemerkte,
dass drüben in der Ecke, wo Carolins Stundenplan hing, noch eine Person saß.
Hubertus war zugleich entsetzt und doch beruhigt. Es war Regine
Pergel.
»Gut, dass du kommst«, sagte Klaus-Dieter Pergel-Bülow wieder. »Wir
haben viel über dich gesprochen. Und jetzt ist es an der Zeit, dass auch du
sagst, was du fühlst …«
Hubertus schnaufte wieder und glotzte dann wie ein Karpfen den
Nachbarn an. Als er genug Luft hatte, um lauter zu werden, entgegnete er:
»Zunächst würde ich verdammt noch mal gerne wissen, was ihr hier macht!«
Dabei konnte er es sich denken. Pergel-Bülows waren Kollegen von
Carolin. Sie hatten heute in der Schule bemerkt, dass es ihr schlecht ging,
hatten ihr in ihrer unerträglich aufdringlichen Weise beistehen wollen und
waren insoweit Experten, als sie Elke und Hubertus kannten. Das einzig Beruhigende
war, dass sie Elke nicht mitgeschleppt hatten. Vielleicht war das auch
beunruhigend, denn die hätte ja immerhin glasklar darüber Auskunft geben
können, dass es ihre Schnapsidee gewesen war, Hummel in dieses
Romantik-Restaurant einzubestellen.
»Wir sind doch alles reife Menschen«, begann Pergel-Bülow mit einem
seiner Lieblingssätze, während Carolin immer noch dasaß, als sei sie einer
mehrstündigen
Weitere Kostenlose Bücher