Giftspur
Angersbach, und die Blicke richteten sich fragend auf ihn. »Keiner von uns spricht mehr über die zwei Toten.«
Und er hatte recht. In der ganzen Liste von Ungereimtheiten, die der Erpresser den Beamten aufgegeben hatte, waren die beiden Ermordeten der größte Widerspruch. Paracelsus
konnte
nicht so naiv sein zu glauben, dass man ihm, der schon zwei Morde auf dem Gewissen hatte, eine Million Euro zahlen und die Ermittlung irgendwann im Sande verlaufen lassen würde.
»Das bildet er sich aber nur ein«, wandte Sabine ein, denn sie würde garantiert nicht lockerlassen, weder vor noch nach der Übergabe.
Leydt meldete sich wieder zu Wort, um einen Gedanken aufzugreifen, der sie ebenfalls nicht loslassen wollte. Wie gut kannte der Erpresser den Hof, und wie persönlich war seine Verbindung zu Claudia Reitmeyer?
»Er setzt voraus, dass Frau Reitmeyer seine Worte versteht«, leitete der Psychologe ein. »Das könnte ein Indiz dafür sein, dass es sich um eine Person aus ihrem direkten Umfeld handelt.«
»Liegt das Kreuz nicht in unmittelbarer Nähe der Zufahrt des Tannenhofs?«, erkundigte sich Sabine und deutete auf den Laptop des Kriminaltechnikers. »Können Sie mal eine Karte aufrufen?«
Brummend klackerte dieser auf seiner Tastatur, bis ein Satellitenbild auf dem matten Breitbild erschien, welches er sogleich in Sabines Richtung drehte. Tatsächlich lagen nur wenige hundert Meter zwischen dem Kreuz und der Zufahrt, allerdings stach Angersbach noch ein weiterer Punkt ins Auge.
»Ist das nicht der Pappelhof von diesem Kayser?«
»Stimmt«, bestätigte seine Kollegin, nachdem sie sich auf dem Kartenausschnitt orientiert hatte.
»Der Weg dorthin ist noch kürzer als zum Tannenhof, und das Wissen um Hähne und lokale Steinkreuze dürfte der Alte wohl auch haben.«
»Aber vermutlich das technische Know-how eines Steinzeitmenschen«, murrte der Kriminaltechniker, und widerwillig musste Angersbach eingestehen, dass diese Einschätzung wohl vernünftig war.
»Mist«, murmelte er. »Aber wer wäre auch so blöd, eine Geldübergabe so nah am eigenen Grund und Boden zu machen.«
»Vorsicht. Bei diesem Typen sollten wir alle Erwartungen an rationales Verhalten über Bord werfen«, schaltete Leydt sich wieder ein.
»Sie meinen, er würde sich aus Kalkül irrational verhalten?«
»Das ist nicht meine
Meinung,
sondern eine Einschätzung, die auf verschiedenen Faktoren basiert«, korrigierte Leydt geduldig.
»Recht vage«, konterte Angersbach mürrisch. »Kein Wunder, dass ihr Psychologen euch nie irrt, wenn alle Diagnosen so schwammig sind.«
»Wie Sie meinen«, lächelte Leydt gütig, beinahe schon devot. Angersbach knirschte mit den Zähnen, denn er ließ sich nicht gerne vorführen. Volker Leydt hatte ihn auflaufen lassen, ohne dabei eine Miene zu verziehen, und jeder hatte es mitbekommen. So etwas schaffte sonst nur Janine. Bevor er sich noch mehr ärgern konnte, beschloss er, schnell das Thema zu wechseln.
»Okay, was sagt die E-Mail noch?«
»Paracelsus warnt ausdrücklich vor einer Beteiligung der Polizei, sei es personell oder unter Zuhilfenahme von Überwachungstechnik«, folgerte Sabine und tippte auf die in Großbuchstaben geschriebenen Worte des ausgedruckten Textes.
»Des Weiteren garantiert er, dass es nach einer erfolgreichen Übergabe keine weiteren Vorfälle geben wird«, ergänzte sie weiter. »Klingt für mich nach einer letzten Instruktion, auf die keine weiteren Mails folgen werden.«
Fragend suchte sie den Blickkontakt zu Leydt und Angersbach. Der Psychologe reagierte zuerst: »Das schätze ich ebenfalls so ein. Er hebt mit diesen Hinweisen zweimal das Anliegen hervor, die Sache erfolgreich und endgültig beenden zu wollen. Seine Warnungen sind also mahnende Zugeständnisse. Er
will,
dass die Übergabe funktioniert, und legt die Verantwortung dafür in unsere Hände. In
Ihre
Hände.« Er deutete auf Frau Reitmeyer, die unwillkürlich zusammenzuckte.
»Dann hätte ich Sie also doch fortschicken sollen«, hauchte diese bleich.
»Nein, aber wir sollten die Übergabe sehr präzise durchsprechen«, warf Sabine Kaufmann ein.
Eine halbe Stunde später verließen die Kommissare das Haus und traten ins Freie. Die Abendluft war eisig und schmeckte nach Frost, dazu kam ein Hauch von Heu, und Sabine fragte sich, ob das Einbildung war, weil sie sich auf einem Hofgut befanden. Vieh gab es auf dem Weidenhof schließlich keines. Sie zog den Reißverschluss bis unter den Hals, zupfte den Kragen
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