Giftspur
aufgescheuchtes Huhn.« Rasch fuhren seine Finger über die Lippen, und er wisperte verschwörerisch: »Aber bloß nichts verraten!«
Ein müdes Lächeln huschte über Sabines Gesicht, und der Psychologe sprach weiter: »Ihre Körpersprache ist übrigens auch recht eindeutig. Zwischen Ihnen beiden herrscht eine unglaubliche Spannung.«
»Zwischen mir und Frau Reitmeyer?«
»Nein … also ich meine: auch«, Leydt schüttelte energisch den Kopf, was seinen lockigen Schweif in Wallung versetzte und urkomisch aussah. Doch Sabine war viel zu konzentriert auf das, was er sagte. »Sie und Ihr Kollege. Das meinte ich. Erlauben Sie mir, das zu sagen, aber Sie scheinen wie Feuer und Wasser zu sein.«
»Dazu muss man kein Psychologe sein«, erwiderte Sabine. Sie fühlte sich ertappt, überrumpelt, aber andererseits hatte Leydt ja recht. Sie rang sich ein aufforderndes Lächeln ab. »Nur zu, sprechen Sie weiter. Ich bin gespannt auf Ihre Analyse.«
»Sorry für den blöden Vergleich, aber Sie verhalten sich wie, hm, ein geschiedenes Pärchen. Abgesehen von den sichtbaren Kontrasten …«
»Wie bitte?«
Leydt verstummte, denn Sabines Stimme klang so laut und erbost, dass sich ein hinten im Raum vorbeigehender Kollege erschrocken zu ihnen drehte.
»Das ist unser erster Fall«, brauste Sabine mit vernichtendem Blick und nur mühsam gedämpfter Stimme auf, »und wir hatten weder eine Beziehung, noch werden wir jemals eine haben!«
»Das Zweite davon beschwören Ex-Ehepartner auch andauernd«, lachte Leydt und winkte ab, »aber es war ein unbeholfener Vergleich. Sorry. Ich wollte Sie nicht verärgern.«
»Hmpf.«
»Ihre Reaktion war allerdings ziemlich heftig. Irgendetwas zwischen Ihnen ruft eine enorme Spannung hervor.«
»Ja, er ist ein Trampeltier, zeigt null Empathie und belächelt mich wegen allem, was ich anders mache. Mein Auto, mein Geschlecht, meine Gesprächsführung …«
»Also doch ein Eheproblem«, lachte Leydt mit einer schützenden Handgeste, und Sabine hielt inne. Sie ließ die genannten Dinge noch einmal Revue passieren, und, tatsächlich, ihre Aufzählung glich in vielen Punkten den Konflikten, die man zu einer Eheberatung tragen würde. Sie verkniff sich ein Schmunzeln und stieß hervor: »Mist! Wir brechen das Ganze wohl besser ab.«
»Wie Sie wünschen«, erwiderte der Psychologe freiherzig. »
Sie
haben gefragt.«
»Jaja.« Sabine winkte ab und sah auf die Uhr. Der Minutenzeiger befand sich längst jenseits seines Zenits, und der Winkel zu dem senkrecht nach unten zeigenden Stundenzeiger wurde immer spitzer. Was bedeutete »nach Feierabend«, die unpräzise Zeitangabe des Erpressers? Achtzehn Uhr dreizehn, es war mittlerweile fast dunkel draußen. Hilflos stellte die Kommissarin fest, dass sie auch in zwei Stunden noch hier sitzen würde, wenn Paracelsus sich nicht meldete. Sie fischte das Smartphone aus ihrer Gesäßtasche und rief Michaels neueste SMS auf, in der er ihr seine voraussichtliche Ankunftszeit genannt hatte.
Verdammt.
Doch obwohl es wieder einmal jenes weitverbreitete Fluchwort war, das ihr durch den Kopf ging, schien das Schicksal ihr gnädig.
»Da ist was!«, rief Claudia Reitmeyer spitz und erregt. Sabine fuhr herum, sah die junge Frau am Wohnzimmertisch vor ihrem Notebook sitzen, während aus dem Büro ein Kriminaltechniker herbeieilte. Der Einzige, der sich nicht impulsartig bewegte, war Angersbach. Er wirkte eher so, als sei er bestellt und nicht abgeholt, oder aber, als wäre ihm das Ganze schnurzpiepegal. Und inmitten all des Trubels tauchte auch noch der gelackte Anwalt auf, an dessen linker Faust eine mokkabraune Tasche aus Straußenleder baumelte. In ihrem Inneren vermutete Sabine das geforderte Geld und wunderte sich kurz darüber, wie wenig Platz die Summe einer Million Euro doch einnahm.
Als wollte sie den Bildschirminhalt vor den Blicken der anderen Anwesenden verbergen, kauerte Claudia vor dem hell flimmernden Hintergrund, in dessen Zentrum eine E-Mail aufgerufen war.
»Von ihm?«, erkundigte sich der Kriminaltechniker.
»Was schreibt er?«, wollte Angersbach wissen, der demnach doch nicht zur Salzsäule erstarrt war, wie seine Kollegin erleichtert feststellte. Doch Claudia suchte Augenkontakt mit Dr. Brüning, der sie mit einem stummen Nicken begrüßte.
»Muss ich den Inhalt überhaupt allen zeigen?«, erkundigte sie sich freiheraus und klappte den Monitor gerade so weit herunter, dass das Gerät nicht auf Stand-by ging.
Irritiert räusperte die
Weitere Kostenlose Bücher