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Giftspur

Giftspur

Titel: Giftspur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Holbe
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Janine kaum etwas dran, sie hatte durchaus weibliche Rundungen, aber die Arme waren zu dünn, der Hals eine Nuance zu lang, und dazu kamen tiefliegende, von grauen Schatten umgebene Augen. Das bleiche Gesicht wurde von langen, schwarzgefärbten Haaren umrahmt; die echte Haarfarbe konnte Ralph nur raten. Regelmäßiges Sonnenlicht und eine weniger flapsige Körperhaltung würden sie zu einem durchaus attraktiven Mädchen machen, so seine Einschätzung, aber darauf würde die Männerwelt wohl erfolglos warten. Janine führte ja auch nicht gerade das Dasein einer Ordensschwester, es gab einen zotteligen Hippie-Typen, der beinahe täglich zugegen war und mit dem sie aller Wahrscheinlichkeit nach auch ging. Wenigstens waren die Hausorgien weniger geworden, denn nicht wenigen aus Janines Dunstkreis schien es nicht zu behagen, dass plötzlich ein Kriminalbeamter unter ihrem Dach wohnte. Diesen Triumph genoss Angersbach klammheimlich über alles.
    Mit polternden Schritten erklomm er die hölzerne Treppe ins Obergeschoss, er hatte bereits die Haustür dröhnend zugeschlagen und würde dies mit der Zwischentür im oberen Flur ebenso tun. Dieses Entgegenkommen, gepaart mit der Tatsache, dass der Kommissar an neunzig Prozent der Tage in einem Zeitfenster von eineinhalb Stunden nach Hause kam, sollte selbst einem Teenager genügen, dessen Interessenhorizont kaum weiter als bis zur Zimmertür reichte.
    »Egal ob Erziehungsberechtigter oder Polizeibeamter«, hatte Angersbach ihr mit Engelszungen gepredigt, und zwar nicht nur ein Mal, »ich kann, darf und werde keine Alkoholexzesse und kein Kiffen dulden.«
    »Kann dir doch scheißegal sein!« So oder ähnlich klang in der Regel die erste Reaktion seiner trotzigen Halbschwester, woraufhin er ihr zumeist jene geschickte Möglichkeit offerierte: »Was du machst, wenn ich nicht da bin, kann ich nicht nachprüfen. Aber wenn ich etwas sehe, wandert es ohne Umwege ins Klo.«
    War die Jugend von heute tatsächlich so debil, oder lag es an dieser Scheißegal-Mentalität, die von einer ganzen Generation Besitz genommen zu haben schien? Statt den Vorteil zu erkennen, der sich ihr bot, keifte das Mädchen lieber erzürnt: »Dann steck mich doch in den Knast. Da hab ich wenigstens meine Ruhe!«
    Und genügend Gras gibt’s da auch.
Auch wenn sie das so nicht sagte, Ralph Angersbach konnte es in ihren Augen lesen.
    Arme Janine. Sie hatte ja keine Ahnung. Und so kam es, dass auch heute ein schweres Aroma in der Luft lag, das dem Kommissar nur allzu vertraut war. Süßlich, bitter, mit einer Nuance von Tannenduft.
    Er seufzte und streifte sich mit den Fußspitzen die Schuhe von den Fersen.
    Heute nicht,
dachte er müde und sank wenige Minuten später mit der Zeitung in die Plüschpolster der uralten Couch.

[home]
    Dienstag, 5 . März
    D er Tod ereilte Malte Kötting wie ein Raubtier auf der Jagd. Er kam lautlos, unsichtbar und völlig unerwartet. Eine unglückliche Verkettung von Umständen hatte letzten Endes dazu geführt, doch das änderte nichts am Ergebnis. Kötting war am Samstag später als geplant in den Feierabend gegangen. Dies hatte Auswirkungen auf seine Abendpläne gehabt, die er spontan verworfen hatte, stattdessen erledigte er einen Großeinkauf und entschied sich für eine oder zwei DVD s. Es war längst dunkel, als er seinen Wagen in die Parklücke vor dem Haus zwängte, und so eng, dass er den Wagen seines Nachbarn touchierte. Kötting bereitete sich einen Salatteller zu, dazu einen Beutel Essigchips und eine Bio-Limonade, deren Etikett Ingwergeschmack versprach. Kötting liebte Ingwer, seinen scharfen, dominanten und zugleich erfrischenden Geschmack. Wann immer er im Büro seines Chefs saß, nutzte er die Gelegenheit, eine Handvoll kandierter Stücke der fernöstlichen Heilwurzel in seiner Hemdtasche verschwinden zu lassen, und jener Samstag hatte hierbei keine Ausnahme gebildet.
    Es sollten ganze zwei Tage vergehen, bis der besagte Nachbar erzürnt vor Köttings Haustür stand, die Klingel malträtierte und mit den Knöcheln aufs Türblatt hämmerte. Der schäbige Citroën 2 CV , auf dessen Heckscheibe ein fußballgroßer Aufkleber
Atomkraft? Nein danke!
prangte, hatte der dunklen Stoßstange seines Audi einen millimeterbreiten Kratzer beigefügt. Außerdem parkte dieser verdammte Öko so eng, dass an ein Ausscheren nicht zu denken war, denn hinter der Karosse begrenzte ein Holzpoller den Rangierraum. Aus Köttings Wohnung meinte der Nachbar, Musik zu hören, eine

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