Giftspur
verschanzten, als sei es ein Heiligenschein, aber …
»Nun ja, eine Approbation habe ich nicht«, kam Rahnenfeldts Erklärung, »aber von den zehn Semestern Schulmedizin ist doch ein wenig hängengeblieben.«
»Ach.«
»Erstaunt Sie das?« Rahnenfeldt verzog die Mundwinkel zu einem schiefen, freudlosen Grinsen. »Tja, ich komme aus einem wohlhabenden Haus. Mein Vater war Internist und mein Großvater Pneumologe. Lungenfacharzt. Da schien es praktisch in Stein gemeißelt, dass ich diese Staffel übernehme. Medizinstudium in Hamburg, inklusive schlagender Verbindung«, Rahnenfeldt hob mit zwei Fingern seinen Scheitel an und tippte auf eine kleine Narbe, »und das alles sponsored by Papa. Selbst die Praxisräume standen schon für mich bereit. Aber mir wurde schnell klar, dass ich mich nicht in dieses krank machende System der Zwei-Klassen-Medizin und Pharmaindustrie stürzen wollte.« Er horchte auf, der Drucker war wieder verstummt. »So weit also meine Vita in zwei Minuten, Moment, bitte.« Er eilte ins Nebenzimmer, kehrte Sekunden später mit einigen Papieren zurück, welche er raschelnd auf die Seiten legte, die er aus der Schublade gefischt hatte. »Bitte sehr, Ihre Unterlagen. Haben Sie eine Faxnummer, oder möchten Sie sie ausleihen?« Er seufzte und ergänzte dann: »Im Grunde brauche ich sie ja überhaupt nicht zurück.«
Angersbach zog den flachen Stapel in seine Richtung und warf einen prüfenden Blick über die oberste Seite.
»Wie lange war Reitmeyer bei Ihnen in Behandlung?«
»Behandlung ist wohl kaum der richtige Ausdruck«, gab Rahnenfeldt zurück. »Ich habe ihn schon eine ganze Weile nicht mehr gesehen. Er war einer der gesündesten Menschen, die mir je untergekommen sind. Das Einzige, weshalb er jedes Jahr kam, war ein Check-up. Das steht auch alles da drinnen.« Er deutete in Richtung der Unterlagen. »Der Schulmedizin hat er schon vor zwanzig Jahren den Rücken gekehrt, er ist einer meiner längsten Patienten.
War,
meine ich.« Der Blick des Heilpraktikers verdüsterte sich.
»Waren Sie darüber hinaus befreundet?«, wollte Angersbach wissen, dem die Mimik seines Gegenübers nicht entgangen war.
»Ja, das könnte man sagen«, nickte Rahnenfeldt. »Zumindest bis zum Tod seiner Frau. Danach zog er sich zurück, er war nur noch ein Mal bei mir seitdem. Traurige Sache, ich hätte gerne mehr für sie getan.«
»Für seine Frau?« Ralph Angersbach richtete sich hellhörig auf und blickte sein Gegenüber fragend an.
»Ja, natürlich. Sie war bei mir in Behandlung. Alternative Krebstherapie, aber leider waren die Metastasen viel zu weit gestreut. Ich konnte ihr nicht helfen.«
In Ralphs Kopf rasten die Gedanken, und der Kommissar versuchte, ihre losen Enden zu fassen zu bekommen, die scheinbar zusammenhanglos umherwirbelten.
Claudia – Ulf – eine verstorbene Ehefrau und Mutter.
Brodelten hier Animositäten unter der Oberfläche, die keiner auszusprechen wagte?
»Hat Reitmeyer Ihnen Vorwürfe gemacht?«, versuchte er es ins Blaue hinein, und sofort schüttelte der Heilpraktiker energisch seinen Kopf.
»Er nicht«, antwortete er mit Nachdruck, »aber seine Tochter dafür umso mehr. Haben Sie ihr gegenüber meinen Namen erwähnt?«
»Eher andersherum«, gab Angersbach nachdenklich zurück.
»Oh, dann kann ich mir eine Menge farbiger Metaphern vorstellen, mit denen sie mich bedacht haben dürfte«, erwiderte Rahnenfeldt bitter. Dann, ruhig und sachlich, schloss er: »Ich nehm’s ihr nicht krumm. Der Verlust eines geliebten Menschen verleitet zu irrationalen Handlungen.«
»Welche Handlungen?«
Rahnenfeldt zögerte kurz, beugte sich vor und raschelte in einem Stapel abgelegter Papiere. Dabei murmelte er etwas Unverständliches, dann, wieder zu Angersbach gewandt: »Tut mir leid, ich habe es wohl in den Schredder gestopft.«
»
Was
denn?« Der Kommissar wurde langsam ungeduldig.
»E-Mails, anonyme Briefe und dergleichen. Nach Frau Reitmeyers Tod erhielt ich die eine oder andere Drohung.«
»Von Claudia?« Angersbach wollte sichergehen, dass er hier nichts falsch verstand.
»Das weiß ich nicht genau«, widersprach Rahnenfeldt, »es stand kein Name darunter. Der Wortlaut war ›du bist schuld‹ oder ›das wirst du bereuen‹.«
»Hm, konkrete Drohungen. Haben Sie etwas dagegen unternommen?«
Rahnenfeldt verzog erneut das Gesicht, diesmal war es eine spöttische Miene. »Deshalb?« Er schnaubte und winkte ab. »Mitnichten. In dieser Hinsicht habe ich ein dickes Fell, zumal mich
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