Giftspur
zurecht. Da klopfte es, und unmittelbar darauf wurde die zur Hälfte angelehnte Tür aufgeschoben. Ein elegant gekleideter Mann mit dunkler, leicht getönter Hornbrille und makellosem Teint schob sich hinein.
»Brüning, guten Morgen«, nickte er knapp. »Sie wollten mich sprechen?«
»Sind Sie der Anwalt von …?«
Der Name des Lkw-Fahrers war nirgends erwähnt worden, doch bevor Sabine Kaufmann ausweichen musste, vollendete der Mann ihre Frage: »Ich vertrete Herrn Alvaro. Bitte erklären Sie mir, was die Mordkommission diesbezüglich von mir will.« Er runzelte die dunklen Augenbrauen und fügte hinzu: »Und seit wann hat Bad Vilbel überhaupt ein Dezernat für Gewaltdelikte?«
»Seit dem ersten Januar«, beantwortete Ralph Angersbach zunächst die zweite Fragenhälfte, bevor er sich einen Bleistift griff, mit dem er scheinbar gelangweilt zu spielen begann. »Den Rest verraten Sie uns doch bitte selbst.«
»Was soll ich verraten?«, fragte der Anwalt gereizt.
»Die Verbindung zwischen Herrn Alvaro und dem Fall Reitmeyer.« Es war ein Schuss ins Blaue, zugegeben. Aber wenn Brüning nur halb so gewieft war, wie sein Auftreten es vermuten ließ, würde Angersbach mit einer Fragestunde nach Lehrbuch nicht weit kommen.
»Reitmeyer?«, wiederholte Brüning nur und bemühte sich, eine gleichgültige Miene zu wahren. Angersbach warf seiner Kollegin einen vielsagenden Blick zu. Der Anwalt spielte auf Zeit, dessen war er sich sicher.
»Reitmeyer, ja«, nickte er geduldig. Als Brüning einige Sekunden lang schwieg, entschied der Kommissar, das Ganze nun doch ein wenig zu beschleunigen. »Sie sind uns in der Hofeinfahrt entgegengekommen, also reden wir nicht lange drum herum.«
»Nun gut«, sagte Brüning frostig, »Sie haben mich also gesehen. Welche Schlüsse ziehen Sie daraus?«
»Vertreten Sie die Interessen der Reitmeyers?«
»Das fragen Sie Frau Reitmeyer am besten selbst.«
Eine harte Nuss,
dachte Angersbach und massierte sich angestrengt die Schläfen. »Okay, in Ordnung, dann anders. Welche Verbindung besteht zwischen diesem Alvaro und dem Reitmeyer-Betrieb?«
»Wie kommen Sie darauf, dass eine Verbindung besteht?«
»Milchlaster – Molkereiprodukte«, meldete sich Sabine Kaufmann zu Wort und drehte sich mit dem Stuhl in Brünings Richtung. »Die kürzeste Verbindung zwischen zwei Punkten …«
»Selbst wenn dem so wäre …«, wehrte Brüning ab und wippte überheblich lächelnd mit dem Zeigefinger. »Ich stehe meinen Mandanten gegenüber in der Schuld, ihre Interessen vertraulich zu behandeln. Mir scheint, ich kann hier nichts weiter für Sie tun.«
»Sehr bedauerlich«, schloss Angersbach.
»Eines darf ich Ihnen jedoch sagen«, offerierte der Anwalt den beiden Kommissaren vor dem Hinausgehen. »Weder Herr Alvaro noch Frau Reitmeyer sollten in irgendeiner Weise Ziel Ihrer Ermittlungen sein. Die beiden haben weder Kenntnisse noch Verbindungen zu Delikten Ihrer Zuständigkeit. Glauben Sie mir das einfach, dann sparen Sie sich Zeit und dem Steuerzahler Geld. Guten Tag.«
Windhund.
Der Tag hinterließ einen schalen Beigeschmack, als Ralph Angersbach die Dienststelle verließ. Es waren Stunden klassischer Polizeiarbeit gewesen, nämlich Recherche und Papierkrieg am Schreibtisch, also jener Tätigkeiten, die man im Fernsehen üblicherweise nicht zu sehen bekam. Die Ergebnisse waren zum Teil recht erhellend gewesen, so hatte sich zum Beispiel herausgestellt, dass Ulf Reitmeyer bei weitem keine Lichtgestalt gewesen war. Im Gegenteil. Die Zahl derer, die an seiner Grabstätte eher lachen als weinen würden, schien stetig zu wachsen. Reitmeyer hatte seinen Betrieb, als er ins Florieren kam, rücksichtslos expandiert. Wer mithalten konnte, gut, wen er aufkaufen oder ruinieren musste, auch gut. Eine genauere Hintergrundrecherche stand noch aus, denn Möbs hatte die beiden Ermittler mahnend daran erinnert, dass die begrenzten personellen Ressourcen nicht ohne triftigen Grund überstrapaziert werden mussten. Nach wie vor gab es keine belastbaren Hinweise auf ein Tötungsdelikt. Auf den Magen jedoch schlug Angersbach noch etwas anderes. Ihm wollte der lakonische Kommentar seiner Kollegin nicht aus dem Kopf gehen, ob sie es nun ernst gemeint hatte oder nicht.
Chef.
So hatte sie ihn genannt, natürlich im Scherz, aber in jedem Spaß verbirgt sich auch ein Funke Wahrheit. Die beiden Stellen in Bad Vilbel waren mit identischem Wortlaut ausgeschrieben worden, eine intern, eine extern. Es war keine Rede
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