Giftspur
Blick, dann deutete er mit dem Daumen hinter sich und sagte grinsend: »Besser so, als wenn Ihnen aus heiterem Himmel ein halbnackter, bekiffter Teenie über den Weg läuft und Sie sich wer weiß was denken.«
Unwillkürlich mussten beide lachen.
Da habe ich mich ja schonungslos hineinkatapultiert in Angersbachs geheimes Privatleben,
dachte Sabine, als sie weiter in Richtung Küche gingen.
Nach einem Blick in die Speisekammer offenbarte Ralph seiner Kollegin, dass er drei angebrochene Packungen Nudeln habe und sie sich etwas mischen müssten. Dafür mangelte es nicht an frischen Tomaten, Zwiebeln und den üblichen Gewürzen, eine Basis also, mit der man arbeiten konnte.
»Eine Bolognese à la Kaufmann wird’s zwar nicht, aber einen mediterranen Hauch bekommen wir hin«, murmelte Sabine, während sie das Gemüse wusch.
»Bolognese hätte ich auch dankend abgelehnt«, offenbarte Angersbach ihr und plätscherte derweil mit Wasser.
»Doch eher der Typ Holzfällersteak?«
»Nein, Vegetarier.«
Er schaffte es immer wieder, sie zu überraschen.
Im Laufe der nächsten zwei Stunden, in denen die beiden eine Flasche Wein leerten, von der Sabine aber nur ein Glas trank, unterhielten sie sich recht zwanglos. Sie tauschten ihre Viten aus, einige Details aus ihrem Privatleben, wobei Sabine ihren Freund Michael Schreck mit keinem Wort erwähnte. Dafür sprachen sie umso ausführlicher über ihre Mütter.
»Ist diese Schizophrenie denn dauerhaft?«, erkundigte sich Angersbach mit betretener Miene, der sich nicht vorstellen konnte, wie der Alltag eines psychisch kranken Erwachsenen aussah. Doch wer konnte das schon?
»Ja und nein. Es gab Jahre, in denen fiel das kaum ins Gewicht. Man vermutet, dass die hormonelle Veränderung in den Wechseljahren zu einer Verstärkung geführt hat.«
Da ihre Erklärung nicht den erwünschten Effekt erzielte, das Gespräch wieder etwas unbeschwerter zu gestalten, setzte sie nach: »Keine Angst, es ist nicht ansteckend.«
»Und vererbbar ist es auch nicht?«
Falsche Frage.
»Gewisse Veranlagungen schon«, gestand Sabine ein, »aber es gab in dreißig Jahren kein einziges Symptom. Ich denke also, ich bin außer Gefahr.« Sie zwinkerte vielsagend.
»Ich sag’s Ihnen, wenn ich was merke«, flachste Angersbach, wurde dann aber sofort wieder ernst. Seine Blicke wanderten in die Ferne, wobei diese kaum zwei Meter hinter Sabines Rücken an der Küchenwand endete. Gedankenverloren sprach er weiter: »Meine Frage kam ja nicht ohne Grund. Sie scheinen über Ihre Mutter jedes Detail zu wissen, vielleicht sogar manches, was man als Kind überhaupt nicht wissen möchte. Ich hingegen«, er seufzte, »habe meine Mutter nie kennengelernt.«
»Möchten Sie es mir erzählen?«
»Da gibt’s nicht viel. Mit fünfzehn schwanger geworden, das konnte ich mir anhand ihrer Geburts- und Sterbedaten ausrechnen, Vater unbekannt. Das genügte in den Siebzigern praktisch als Ticket fürs Kinderheim, obwohl sie es irgendwie hinbekommen haben muss, mich bis dahin zwei Jahre lang durchzubringen. Später nahm mich dann eine Pflegefamilie, die brachten mich auf den richtigen Weg, und wenn ich mir meine damaligen Heimkollegen so ansehe, dann hatte ich wohl mächtig Glück.«
»Hat Ihre Mutter damals schon hier gelebt?«
»Das habe ich mich auch schon gefragt«, gab Ralph zu. »Ich zermartere mir manchmal das Hirn wie ein Verrückter, aber da kommen keine Erinnerungen mehr hoch.«
»Was sagt denn der Grundbucheintrag?«
»Sie hat das Haus selbst geerbt«, er deutete nach oben, »soweit ich weiß, vom Erzeuger Janines.«
»Graf Dracula also«, scherzte Sabine.
»Hm. Er ist jedenfalls nicht mein Vater, so viel ist sicher. Mehr weiß ich leider auch nicht, aber Janine sagte, sie sei von Geburt an hier aufgewachsen. Schätzungsweise wollte ihr Erzeuger sich mit dem Erbe seine Art der Absolution verschaffen.«
»Dafür, dass er Ihre Mutter mit Janine hat sitzenlassen?«
»Das ist wie gesagt nur eine Vermutung«, wandte Angersbach ein. »Doch wenn ich nachrechne, dürfte meine Mutter bei Janines Geburt etwa so alt gewesen sein, wie ich es nun bin.« Sein Gesicht verfinsterte sich. »Vielleicht hat sie es kommen sehen, dass sie sich nicht mehr um sie kümmern kann, bis sie aus dem Gröbsten raus ist, wobei …« Zweifelsohne dachte er, dass dieser Zeitpunkt bei seiner Halbschwester wohl nie eintreten würde, vollendete den Satz aber nicht. »Na, lassen wir das. Jedenfalls hat sie mir diesen Batzen ungewollter
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