Giftspur
auf die Füße zu treten, war und blieb ein komischer Kauz. Sabine war höchstgradig gespannt, welche Geheimnisse sich hinter seiner Fassade des wortkargen, unnahbaren Kommissars verbargen. Und ausgerechnet Horst Schulte war es, der ihr einen Strich durch die Rechnung machte.
Ralph klappte das Handy zu und sagte knapp: »Anruf vom Big Boss. Wir müssen wohl umdisponieren.«
Schulte verlangte die beiden sofort zu sehen und hatte sie in die Friedberger Dienststelle beordert.
Dort angekommen, die Fahrt dauerte aufgrund des Feierabendverkehrs länger als erwartet, führte Angersbach Sabine zielstrebig durch das Gebäude, welches sich in unmittelbarer Nähe eines alten, klobigen Wasserturms am Rande eines Industriegebiets oberhalb der Stadt befand. Trotz der fortgeschrittenen Stunde herrschte geschäftiges Treiben in einigen Dienstzimmern, und auch Schulte wirkte auf die beiden nicht so, als befände er sich auf dem Sprung nach Hause.
»Hack hat mich informiert, dass wir es bei beiden Männern mit demselben Todesumstand zu tun haben: herzwirksames Gift«, kam Schulte ohne Umschweife zur Sache.
Ralph Angersbach wunderte sich, dass der Rechtsmediziner nicht bei ihm angerufen hatte, enthielt sich aber eines Kommentars, denn Schulte dachte nicht daran, eine Pause zu machen. Er saß, den Kopf auf die gefalteten Hände gestützt, hinter seinem Schreibtisch. Der Raum wurde durch fahles Neonröhrenlicht in kühles Weiß gekleidet, und dies verstärkte den Effekt, dass der Kriminaloberrat blass und übermüdet aussah. »Ich muss Ihnen wohl kaum sagen, dass wir extrem im Fokus der Öffentlichkeit stehen, nicht wahr?«
»Natürlich nicht«, räumte Sabine ein. »Reitmeyer war eine prominente Persönlichkeit.«
»Der ermordet wurde!«, fiel ihr Schulte ins Wort und rieb sich angestrengt die Schläfen.
»Das haben wir bislang nur angenommen, amtlich bestätigt war noch nichts«, sagte Angersbach mürrisch, der sich noch immer darüber ärgerte, dass Hack ihn offenbar übergangen hatte.
»Ich habe Hackebeil Dampf gemacht«, gab Horst Schulte nun preis. »Schlimm genug, dass wir in der Sache überhaupt gezweifelt haben. Aber
Gift?
« Er seufzte und schüttelte entgeistert den Kopf.
»Eben. Wer konnte das ahnen?« Ralph beeilte sich, Schulte zuzustimmen, denn von Schuldzuweisungen wollte er nichts wissen. »Es gab einen Schuss, der keiner war, keine Verletzungen an der Leiche, und die statistische Wahrscheinlichkeit, dass es einen Mann über fünfzig beim Joggen erwischt …«
»Papperlapapp!«, schnitt Schulte ihm unwirsch das Wort ab. »Wir haben eine ganze Reihe von Verdächtigen, und das ist es, was unterm Strich zählt. Ihr Job ist es, aus diesem Personenkreis jemanden zu finden, der für beide Taten verantwortlich ist. Was zum Beispiel ist mit diesem verschollenen Sohn?«
»Frederik?«, wiederholte Angersbach stirnrunzelnd.
»Genau der.«
»Frederik Reitmeyer ist auf Borneo«, sprang Sabine ein. »Erreichen unmöglich.«
»Wenn Sie mich fragen, ein hervorragendes Alibi«, schnellte Schultes Antwort zurück, und er machte eine herausfordernde Geste. »Haben wir eine Fahndung? Was sagen die Kollegen am Flughafen dazu? Nun, ich höre! Denkbar wäre es doch, oder?«
»Theoretisch vielleicht«, murmelte Ralph, »aber was für ein Motiv sollte er haben?«
»Erbschaft, Neid auf die Schwester, was auch immer«, schnaubte Schulte. »Sehen Sie, was da eben passiert ist?« Er tippte sich an die Stirn, und die beiden Kommissare blickten ihn fragend an. »Ich habe kombiniert«, fuhr er fort, »selbst wenn es ein recht abstruses Ergebnis zur Folge hatte. Also behaupten Sie nicht, es mangele uns an Verdächtigen. Passen Sie auf, ich sage das jetzt in aller Deutlichkeit: Morgen früh habe ich einen Termin in Kassel, den ich auch unbedingt wahrnehmen werde.« Schulte gab sich geheimnisvoll, vielleicht geschah es nicht einmal aus Absicht, und keiner der Kommissare fragte ihn nach Details. Seine Stimme ließ keinerlei Zweifel an seiner wilden Entschlossenheit. »Wenn ich wiederkomme, erwarte ich Ergebnisse«, mahnte er. Dabei funkelte er Angersbach herausfordernd an, vermutlich, weil er ihn länger kannte als Sabine.
»Sollen wir blindlings jemanden verhaften?«, konterte Ralph bissig.
»Nein, verdammt, aber ziehen Sie die Daumenschrauben ruhig mal etwas an! Morgen ist eine halbe Woche vergangen, und die Presse wird sich früher oder später das Maul zerreißen. Stellen Sie sich nur einmal folgende Schlagzeile vor:
›Experiment
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