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Giftspur

Giftspur

Titel: Giftspur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Holbe
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Verantwortung recht elegant ans Bein gebunden, finden Sie nicht?«
    »Ich würde dieses gar so grauenvolle Mädchen ja zu gerne mal kennenlernen.« Sabine funkelte ihn herausfordernd an.
    Der Wunsch erfüllte sich eine halbe Stunde später, als die Weinflasche sich bereits bis auf einen letzten Schluck geleert hatte und von den Nudeln kaum mehr als ein karger Rest übrig war.
    »Boah, hallo?«, krächzte eine rauchige Stimme, nachdem es zuerst auf der Treppe gepoltert hatte und sich dann schlurfende Schritte näherten. In der noch knarrenden Tür zeigte sich eine zierliche Gestalt, barfüßig, und mit einer dreiviertellangen Leggings bekleidet, deren Seiten aus schwarzer Spitze gefertigt waren und, verziert mit schwarzen Rosen, den Blick auf die bleichen Beine freigaben. Der graue Schlabberpullover, den Janine obenherum trug, hätte nicht unpassender sein können. Ihre Haare fielen links über die Schulter und gaben den Blick frei auf die rechte Hemisphäre des Gesichtes und die grelle, kahlrasierte Stelle oberhalb der Ohren.
Eine Halb-Irokesin?
    »Ebenfalls hallo.« Es war nicht zu übersehen, dass Ralph sich anstrengte, die Contenance zu bewahren. Janine steuerte zielstrebig auf den Kühlschrank zu, dabei musterte sie Sabine im Vorbeigehen skeptisch.
    »Kannst du nicht abschließen, wenn du eine mitbringst?«
    »Moment mal!«, rief Ralph verärgert, doch Sabine beschwichtigte ihn mit einer versöhnlichen Geste.
    »Sabine Kaufmann«, wandte sie sich lächelnd an das Mädchen. »Ich bin eine Kollegin.«
    »Noch ein Bulle, auch nicht besser«, klang es mürrisch aus den Tiefen des Eisfachs. Dabei raschelte und knackte es. »Haben wir keine Pizza mehr?«
    »Hast du eingekauft?«, erwiderte Angersbach kühl.
    »Pff, dann bestellen wir eben.«
    »Es sind noch ein paar Nudeln da«, versuchte Sabine noch einmal ihr Glück und deutete auf das Metallsieb in der Mitte des Tisches. Janine kam zwei Schritte näher und reckte den Hals, dabei klimperten die schwarz-silbernen Metallanhänger, die sie unter dem Pullover trug. Ohne es zu wissen, war Sabine sich sicher, dass mindestens ein Pentagramm oder ein Totenkopf dabei war. Eine verunsicherte junge Frau. Doch Sabine hatte schon ganz anderes gesehen: Frauen, die ihren Körper misshandelten, weil er ihnen nichts mehr bedeutete als eine schmerzende Hülle, die sie im irdischen Jammertal gefangen hielt. Mädchen, deren Unterarme zahllose feine Narben aufwiesen, von immer neuen Verletzungen mit Rasierklingen, Glasscherben oder Nadeln.
Ritzen,
so nannte der pseudowissenschaftliche Volksmund dieses Phänomen, doch die Verharmlosung, die diesem Begriff innewohnte, konnte unpassender kaum sein. Es waren schmerzhafte Schnitte, aber weitaus weniger schmerzhaft als ihre Ursache. Ein Schnitt war rasch durchgeführt und tat nur kurz weh, verheilte sogar relativ schnell wieder. Aber der innere Schmerz blieb bestehen, und die tiefliegenden Wunden verheilten nie. Doch dieses Mädchen, Janine, schien von solchen Dingen weit entfernt.
Kaum mehr als eine jugendliche Rebellin,
entschied Sabine für sich, zumindest deutete nichts auf eine tiefergehende Problematik hin. Angersbach konnte froh sein, dass Janines zur Schau getragene Extravaganz allem Anschein nach kaum mehr als die vergängliche Provokation einer Pubertierenden war.
    »
Davon
sollen wir satt werden?«, keifte das Mädchen in diesem Moment, und die Kommissarin zuckte zusammen.
    »Hast du die Bude wieder voll mit Halbaffen?«, knurrte Angersbach, und Sabine hätte ihm am liebsten einen Tritt gegen das Schienbein versetzt.
    »Kommt doch runter, wir setzen noch mal Wasser auf«, schlug sie vor, bevor Janine ihren Halbbruder angiften konnte.
    »Ich lache später«, kam es schnippisch zurück, und sie stapfte davon.
    Einige Sekunden verstrichen, die Schritte entfernten sich, dann sprach Angersbach mit Unschuldsmiene: »Sehen Sie? Und damit schlägt man sich dann herum, in seiner Freizeit, wo es doch immer heißt, man solle sich regenerieren.«
    »Na ja, vergessen Sie nicht, dass zwischen Ihnen Welten liegen«, sagte Sabine halbwegs diplomatisch.
    »Nett ausgedrückt, dass ich ein alter Sack bin.«
    »Das Alter meine ich nicht. Aber welche Rolle nehmen Sie denn Ihrer Meinung nach für Janine ein? Sicher nicht die des großen Bruders, auf den man sich verlassen kann und der einen beschützt.«
    »Nein, ganz und gar nicht«, seufzte Angersbach.
    »Wir sind Polizisten, repräsentieren also eine Gesellschaft, die Heranwachsenden nicht viel mehr

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