Giftweizen
davon aus, hier einem Mörderpaar gegenüber zu stehen, und da war Vorsicht immer noch besser als Nachsicht. Kurioserweise lag keine Anspannung in den Gesichtern und man unterbrach nicht einmal die laufende Unterhaltung.
Offenbar hatte Eduard Singer gerade etwas gesagt, das Walter Dreyer überraschte, denn er fragte nach: »Tatsächlich?«
»Ja. Warum denn nicht? Als Sie alle weg waren, haben wir die Tür an der Gartenseite aufgeschlossen und sind in unser Haus gegangen. Wir waren müde, wollten einen Happen essen und unter die Dusche. Die Heimlichtuerei war überflüssig geworden. Sie hatten uns doch längst entdeckt.«
Dass eine versiegelte Tür Eduard Singer nicht aufhielt, war nachvollziehbar. Aber eine Flucht vorzutäuschen, die Hausdurchsuchung abzuwarten und sich dann gemütlich im eigenen Haus zu betten – so eine Unverfrorenheit war für Walter unvorstellbar gewesen.
Judith Brunner nickte den beiden Streifenpolizisten, die sie begleitet hatten, zu und forderte sie damit auf, Hella und Eduard Singer festzunehmen – wegen des Verdachts auf mehrfachen Mord, wie sie dem Ehepaar unmissverständlich mitteilte – , und sie getrennt in die Kreisdienststelle nach Gardelegen zu bringen. Dr. Grede würde die Fahrt begleiten.
Eduard Singer wandte sich seiner Frau zu, umarmte sie innig, flüsterte ihr etwas ins Ohr und beide nahmen die Verhaftung ohne ein weiteres Wort hin.
Als die Wagen abgefahren waren, bot Walter Judith und seinem Breitenfelder Kollegen erst einmal einen frischen Kaffee an, der dankbar angenommen wurde. Judith Brunner wollte sich die Geschichte vom unerwarteten Auftauchen der Singers unbedingt aus erster Hand erzählen lassen.
Während Walter Dreyer in seiner Küche hantierte, nutzte sie die Gelegenheit zu einem Telefonat mit der Staatsanwaltschaft und berichtete von der Festnahme. Auch dort war man überrascht, gratulierte jedoch zum schnellen Erfolg.
Manfred Lange hatte sich grübelnd in einen der Sessel gesetzt und versuchte, einen Sinn im Handeln seiner Dorfnachbarn zu erkennen. Vergeblich. Er freute sich, dass Walter Dreyer schnell mit dem heißen Kaffee ins Büro zurückkam.
Die großen Tassen waren randvoll und Walter musste sie vorsichtig absetzen. »Milch passt noch nicht rein. Sie müssen erst etwas abtrinken«, machte er seine Gäste aufmerksam und begann, sacht in seine Tasse zu pusten. Als die ersten Kaffeekrümel nach unten sanken, nahm er vorsichtig einen Schluck von dem Gebräu und seufzte erleichtert. »Ich muss mich auf den Schreck hin erst einmal stärken.« Er nahm den nächsten Schluck. »Ich war total überrascht, als ich die beiden vorhin auf meiner Bank sitzen sah.« Er berichtete nun in Ruhe von der morgendlichen Begegnung. Selbstverständlich bedankte er sich auch bei Manfred Lange für sein rasches Erscheinen.
Der wies das bescheiden zurück: »Ist schon gut. Ich glaube nicht, dass die beiden dir was tun wollten. Das passt gar nicht zu denen. Obwohl, na ja, vielleicht kenne ich sie doch nicht so gut, wie ich dachte. Niemals hätte ich den Singers einen Mord zugetraut! ... Aber was haben die hier in Waldau gewollt? Wieso sind die nicht zu mir ins Büro gekommen?«
Walter hob ratlos die Schultern. »Ich verstehe es auch nicht. Aber du hast recht. Die hatten wirklich nur vor, sich der Polizei zu stellen, und das hätten sie auch bei dir haben können.«
Manfred Lange machte Anstalten, sich zu verabschieden. »Du fährst doch sicher die Hauptkommissarin nach Gardelegen, oder? Na, ich mache mich dann mal auf den Weg zurück nach Breitenfeld und passe auf das Singersche Haus auf. Ich rechne zwar nicht mehr mit weiteren Überraschungen, aber die Spurensicherung kann gewiss die getragenen Klamotten der beiden gebrauchen. Und wer weiß, was die über Nacht alles angestellt haben? Ich melde mich bei dir, Walter.« Er gab ihm dankend seine Tasse zurück und verließ, mit einem korrekten Gruß an seine Chefin, das Büro.
Judith Brunner hatte, nachdem sie sich mit sorgenvollen Blicken von Walters Wohlergehen überzeugt hatte, den beiden Ortspolizisten kaum noch zugehört. Sie war in Gedanken schon bei den Verhören. Gab es weitere Geheimnisse? Einige Dinge waren für sie noch rätselhaft und ergaben einfach keinen Sinn.
Auch während der Fahrt nach Gardelegen redeten sie kaum; Judith hing ihren Überlegungen nach und Walter hielt einfach immer mal wieder ihre Hand.
~ 60 ~
Heftig gestikulierend machte Wachtmeister Stein auf sich aufmerksam, als sei er ansonsten auf seinem Posten
Weitere Kostenlose Bücher