Giftweizen
Schweinekotelett, Salzkartoffeln und Blumenkohl mit brauner Butter. Ohne Zweifel würde es lecker schmecken!
Walter Dreyer gehörte natürlich seit Jahren zu den Stammkunden in der »Altmärkischen Schweiz« und inzwischen hatten sich alle im Dorf daran gewöhnt, dass er mit seinen Nachbarinnen auf ein Bier oder zum Essen vorbeikam.
Laura Perch kannten viele Waldauer noch aus der Zeit, als sie als Kind häufig bei ihren Großeltern weilte.
Und auch die Hauptkommissarin gehörte mittlerweile zu den gern und oft gesehenen Gästen. Dorfbewohner, die sich von ihrem Zuzug einen Informationsvorsprung am Stammtisch oder beim Friseur erhofft hatten, waren allerdings enttäuscht worden, da weder die Neue noch der alteingesessene Dorfpolizist dazu neigten, breit und öffentlich über die Polizeiarbeit zu reden. Aber Judith Brunner hatte es mit gleichbleibender Freundlichkeit – und auch mit den ab und zu in der Presse veröffentlichten Ermittlungserfolgen – geschafft, viele der Skeptiker im Dorf verstummen zu lassen. Ihr städtischer Chic und ihre aparte Erscheinung hatten anfangs viele Bedenkenträger auf den Plan gerufen, die nicht müde wurden, ihrem Aufenthalt in der Altmark keine große Zukunft zu prophezeien. Doch mittlerweile wurde nur noch selten und meistens hinter vorgehaltener Hand gelästert. Damit konnte Judith gut leben. Diese Ressentiments interessierten sie nicht und waren für sie ohne Belang. Sie lebte inzwischen gern in Waldau.
Lauras vertraute Gesellschaft hatte die beiden Polizisten noch nie davon abgehalten, die Lage detailliert und mit allen Interna zu analysieren. In einigen Ermittlungen hatte Laura sogar aktiv zur Aufklärung der Fälle beitragen können.
Nach einem kräftigen Schluck rosaroter Fassbrause aus einem großen Henkelglas bemerkte Judith einleitend: »Was für ein Schlamassel!«
»Allerdings!«, schloss sich Walter dieser Einschätzung an und wischte sich den Bierschaum von den Lippen.
Laura, die sich mit einem gut gekühlten Weißwein auf das gehaltvolle Essen vorbereitete, verlangte nun endlich Aufklärung: »Was ist hier eigentlich los?«
Walter zwinkerte Judith auffordernd zu: »Sie hat vollkommen recht! Ich will auch wissen, was der Blick von Dr. Renz vorhin zu bedeuten hatte.«
Judiths enges Verhältnis zu dem kultivierten Rechtsmediziner hatte am Anfang ihrer Bekanntschaft mit Walter zu einigen Missverständnissen geführt und Walter hatte fast zu viel Zeit benötigt, bis er sich durchringen konnte, Judith direkt danach zu fragen. Zum Glück hatte sie ihn ernst genommen und, ohne etwas zu verheimlichen, von den kritischen Situationen in ihrer Karriere bei der Bezirksbehörde in Magdeburg berichtet, bei denen nur Dr. Renz sie vorbehaltlos unterstützt hatte. Ohne seinen Beistand – und das Wort eines Fachmannes mit seiner Reputation hatte damals ein erhebliches Gewicht bei der Polizei – hätte sie weder die Verleumdungen überstanden, denen sie sich ausgesetzt sah, nachdem sie den rabiaten Annäherungsversuch eines Kollegen während eines Nachtdienstes abgewehrt hatte, noch hätte sie die zwei Jahre später folgenden Unterstellungen ausgehalten. Damals waren Judith Brunner Fehler in einer Ermittlung untergeschoben worden, die in Wirklichkeit eine andere Einheit zu verantworten hatte. Nach einer überschwänglichen Feier mit reichlich Alkohol hatte man vergessen, Beweisstücke aus einem schweren Raubüberfall für die nötigen Untersuchungen sicher zu verwahren. Ein Teil der Beute war verschwunden und blieb es auch. Hätte damals Dr. Renz nicht mittels der fachlichen Möglichkeiten seines Labors Judiths Unschuld zweifelsfrei nachgewiesen, wäre sie wohl mit Hohn und Spott überzogen worden, wenn nicht gar schlimmere Demütigungen gedroht hätten. Dennoch war Judiths Position in Magdeburg seitdem recht mühselig aufrechtzuerhalten gewesen. An Beförderung brauchte sie nicht mehr zu denken. Mit Dr. Renz’ Rückzug in den Ruhestand hatte sie dann einen nachhaltigen Verlust erlitten, der erst durch ihre Versetzung nach Gardelegen und seine fabelhafte Unterstützung ihrer Ermittlungen einen mehr als gerechten Ausgleich fand. Inzwischen schätzte Walter es sehr, dass Judith in Dr. Renz einen wahren Freund hatte. Dem Rechtsmediziner auch ihr privates Verhältnis anzuvertrauen, hatten sie aber bisher nicht gewagt.
»Es ist euch also aufgefallen?«, stellte Judith ohne schlechtes Gewissen fest.
»Mir fällt immer auf, wenn dich andere Männer ansehen«, erwiderte Walter und verfiel in
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