Gilbert, Elizabeth
eigentlich
nicht festnageln will, aber es muss gesagt werden, also konfrontiere ich ihn
damit. »Sie haben mich aufgefordert, nach Bali zurückzukommen«, sage ich. »Sie
schlugen vor, ich solle drei, vier Monate bleiben. Sie haben gesagt, ich könnte
Ihnen helfen, Ihr Englisch zu verbessern, und Sie würden mir alles beibringen,
was Sie wissen.« Meine Stimme - die nun doch ein bisschen verzweifelt klingt -
gefällt mir nicht. Die Einladung, bei seiner Familie zu leben, die er einst in
den Raum gestellt hatte, erwähne ich lieber nicht. Angesichts der gegebenen
Umstände scheint das ja völlig abwegig zu sein.
Er hört mir höflich zu, lächelt und schüttelt den Kopf,
als wolle er sagen: Schon seltsam, was die Leute alles
erzählen!
Und da gebe ich dann fast auf. Aber ich bin so weit
gereist, einen letzten Versuch muss ich noch wagen. »Ich bin die
Schriftstellerin, Ketut«, sage ich, »ich bin die Schriftstellerin aus New
York.«
Und aus irgendeinem Grund funktioniert das. Plötzlich wird
sein Gesicht klar und durchsichtig vor Freude, wird hell und rein und
transparent. Ein Feuerwerk des Wiedererkennens explodiert in ihm. »Du!«, sagt er. »Du! Ich erinnere!«
Er beugt sich nach vorn, packt mich mit beiden Händen an den Schultern und
beginnt glücklich, mich zu schütteln, wie ein Kind ein noch eingewickeltes
Weihnachtsgeschenk schüttelt, um zu erraten, was sich in der Verpackung
befindet. »Du zurückgekommen! Du zurück!«
»Ich bin wiedergekommen! Ich bin wieder da!«, sage ich.
»Du, du, du!«
»Ich, ich, ich!«
Mir stehen Tränen in den Augen, aber ich will sie nicht
zeigen. Meine enorme Erleichterung ist schwer zu erklären. Sie überrascht
sogar mich. Es ist, als hätte ich einen Unfall gehabt, als wäre mein Auto über
eine Brücke geschossen und bis auf den Grund des Flusses gesunken, als wäre es
mir irgendwie gelungen, mich aus dem Fahrzeug zu retten, indem ich durch ein
offenes Fenster hinausgeschwommen wäre, gestrampelt und gekämpft hätte, um
durch das kalte grüne Wasser nach oben zu gelangen - bis ich fast keinen
Sauerstoff mehr hatte und mir die Halsarterien zu bersten drohten und meine
Backen vom letzten Atemzug aufgeblasen waren, und dann bin ich an die
Wasseroberfläche gestoßen und habe tief durchgeatmet. Und überlebt. So fühlt es
sich für mich an, als ich den indonesischen Medizinmann sagen höre: »Du bist
zurückgekommen!« Genauso groß, so tränenreich, so lebensnotwendig ist meine
Erleichterung.
Ich kann nicht fassen, dass es funktioniert hat.
»Ja, ich bin wieder da«, sage ich. »Natürlich.«
»Ich so glücklich!«, sagt er. Wir halten uns an den Händen,
und er ist jetzt völlig aus dem Häuschen. »Ich zuerst nicht erinnere! Vor so
lange Zeit wir haben getroffen! Du siehst anders! Ganz anders wie vor zwei
Jahre! Vor zwei Jahre du sehr traurig. Jetzt - so glücklich! Wie andere
Mensch!«
Die Vorstellung, dass sich ein Mensch in nur zwei Jahren
so verändert haben kann, scheint ihn zum Lachen zu bringen.
Ich gebe es auf, meine Tränen zurückzuhalten, und lasse
sie fließen. »Ja, Ketut. Ich war sehr traurig. Aber jetzt geht es mir besser.«
»Letzte Mal du in Scheidung. Nicht gut.«
»Nicht gut«, bestätige ich.
»Letzte Mal du viele Sorge, viel Schmerz. Letzte Mal, du
siehst aus traurige alte Frau. Gar nicht hübsch. Letzte Mal du war sehr
hässlich! Jetzt du wie junge Mädchen. Sehr hübsch!«
Mario applaudiert begeistert und verkündet triumphierend:
»Siehst du? Bild funktioniert!«
Ich sage: »Möchtest du immer noch, dass ich dir helfe,
dein Englisch zu verbessern, Ketut?«
Ich könne sofort damit anfangen, meint er und springt
flink wie ein Kobold auf die Füße. Er eilt in sein Häuschen und kehrt mit einem
Stapel von Briefen zurück, die er in den letzten Jahren aus dem Ausland
bekommen hat (er hat also eine Adresse!). Er bittet mich, ihm die Briefe laut
vorzulesen; er versteht zwar gut Englisch, lesen aber kann er es nicht. Und
schon bin ich seine Sekretärin. Die Sekretärin eines Medizinmanns. Es ist
schon unglaublich. Die Briefe stammen von Kunstsammlern aus aller Welt, von
Leuten, denen es irgendwie gelungen ist, einige seiner berühmten Zauberskizzen
und -bilder zu ergattern. Einer der Briefe stammt von einem Sammler aus
Australien, der Ketuts künstlerische Fähigkeiten preist und schreibt: »Wie ist
es Ihnen nur möglich, so detailgetreu zu malen?« Und an mich gewandt, als
diktiere er, antwortet Ketut: »Weil ich viele, viele Jahre
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