Gilbert, Elizabeth
üben.«
Als wir mit den Briefen fertig sind, erzählt er mir die
Neuigkeiten der letzten Jahre. Zum Beispiel ist er jetzt wieder verheiratet.
Er deutet über den Hof auf eine stattliche Frau, die im Dunkel der Küchentür
steht und mich anfunkelt, als wisse sie noch nicht so recht, ob sie mich
sofort erschießen oder doch lieber erst vergiften und dann erschießen soll.
Bei meinem letzten Besuch hatte mir Ketut Fotos seiner Frau gezeigt, die kurz
zuvor gestorben war - eine schöne alte Balinesin, die auch im Alter noch heiter
und kindlich wirkte. Über den Hof winke ich der neuen Ehefrau zu, die sofort
in ihre Küche verschwindet.
»Gute Frau«, erklärt Ketut in Richtung Küche. »Sehr gute
Frau.«
Dann berichtet er, dass seine balinesischen Patienten ihn
sehr auf Trab gehalten hätten, er habe immer viel zu tun gehabt, »viel Zauber
für neue Babys, Zeremonie für Tote, Heilung für Kranke, Zeremonie für
Hochzeit«. Wenn er das nächste Mal auf eine balinesische Hochzeit gehe, erzählt
er, »wir gehen zusammen! Ich dich mitnehmen!«. Das einzig Dumme sei nur, dass
ihn nicht mehr so viele Westler besuchten. Seit den Anschlägen komme niemand
mehr nach Bali. Was zur Folge habe, dass er sich »sehr beunruhigend in Kopf«
fühle. Und auch »sehr leer auf die Bank«. Er sagt: »Kommst du jetzt jede Tag zu
meine Haus für Englisch üben?« Ich nicke glücklich. »Ich zeige dir balinesische
Meditation, okay?«
»Okay«, erwidere ich.
»Ich glaube, drei Monate genug für dich, zu lernen balinesische
Meditation und Gott finden«, meint er. »Oder vielleicht vier Monate. Bali
gefällt dir?«
»Ich liebe Bali.«
»Du schon verheiratet in Bali?«
»Noch nicht.«
»Vielleicht bald - ich glaube. Du kommst morgen wieder?«
Ich verspreche es ihm. Da er über meinen Einzug in sein
Haus kein Wort verliert, erwähne auch ich nichts mehr davon, sondern werfe nur
einen letzten verstohlenen Blick auf die furchterregende Ehefrau in der Küche.
Vielleicht bleibe ich doch lieber in meinem hübschen Hotel. Bequemer ist es
dort allemal. Schon allein wegen der sanitären Einrichtungen. Allerdings werde
ich ein Fahrrad brauchen, um ihn jeden Tag zu besuchen ...
Aber jetzt ist es Zeit zu gehen.
»Ich sehr froh, dich kennen zu lernen«, sagt er und schüttelt
mir die Hand.
Ich erteile ihm meine erste Englischlektion. Ich lehre ihn
den Unterschied zwischen »War schön, dich kennen zu lernen« und »War schön,
dich zu sehen«. Ich erkläre ihm, dass wir »War schön, dich kennen zu lernen«
nur bei der ersten Begegnung sagen und danach immer nur noch »War schön, dich
zu sehen«. Weil man jemanden nur einmal kennen lernt. Jetzt aber werden wir uns
ständig wiedersehen, Tag für Tag.
Das gefällt ihm. Er dreht eine Übungsrunde: »War schön,
dich zu sehen! Ich bin froh, dich zu sehen! Ich kann dich sehen! Ich bin nicht
taub!«
Er bringt uns alle zum Lachen, sogar Mario. Wir schütteln
uns die Hand und einigen uns, dass ich am Nachmittag des folgenden Tages wieder
vorbeischaue. Er verabschiedet sich mit: »See you later, alligator.«
»In a while, crocodile«, erwidere
ich.
»Lass dich von deine Gewissen leiten. Wenn du hast westliche
Freunde hier in Bali, schick zu mir für Handlesen - ich bin jetzt, nach Bomben,
ganz leer in meine Bank. Ich bin Autodidakt. Ich sehr froh, dich zu sehen,
Liss!«
»Ich auch, Ketut.«
76
Inmitten des indonesischen Archipels mit seiner mehrheitlich
muslimischen Bevölkerung ist Bali eine winzige Hindu-Insel. Den Hinduismus
brachten im vierten Jahrhundert nach Christus indische Kaufleute zunächst nach
Java. Javanische Könige begründeten eine mächtige Hindu-Dynastie, von deren
Kultur heute, sieht man von den beeindruckenden Tempelruinen in Borubador
einmal ab, nur noch wenig zeugt. Im sechzehnten Jahrhundert rissen muslimische
Aufständische die Macht an sich, und das hinduistische Königshaus floh nach
Bali, begleitet von den Angehörigen der Oberschicht, den Künstlern und
Priestern - so dass die Behauptung, jeder auf Bali sei Abkömmling eines
Königs, Priesters oder Künstlers und dass die Balinesen deswegen ein so stolzes
Volk seien, keine maßlose Übertreibung ist.
Die javanischen Kolonialherren führten ihr Hindu-Kastensystem
auf Bali ein, wenngleich die Kasteneinteilung hier nie so konsequent
durchgesetzt wurde wie einstmals in Indien. Dennoch ist die Hierarchie der
balinesischen Gesellschaft äußerst komplex, und vermutlich gelänge es mir
eher, das menschliche Genom zu
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