Gilbert, Elizabeth
tatsächlich allein und mit leeren Händen zurück - und
wurde festgenommen.
Man sperrte ihn für mehrere Wochen in ein Sträflingslager
in Elizabeth City, New Jersey, zusammen mit unzähligen anderen Immigranten,
die man alle kurz zuvor aufgrund des Homeland Security Act verhaftet
hatte, von denen viele seit Jahren in Amerika lebten und arbeiteten und kein
Englisch sprachen. Die meisten hatten bei ihrer Verhaftung nicht einmal mehr
ihre Familie verständigen können. Im Gefangenenlager waren sie unsichtbar;
niemand wusste, ob es sie überhaupt noch gab. Die fast schon hysterische Ann
brauchte Tage, um zu erfahren, wohin man ihren Ehemann verschleppt hatte. Am
deutlichsten erinnert sich Yudhi an die Gruppe verängstigter Nigerianer, die
man auf einem Frachtschiff in einem Stahlbehälter gefunden hatte; fast einen
Monat lang hatten diese Männer sich in diesem Container im Rumpf des Schiffes
versteckt, bevor man sie entdeckte. Sie hatten keine Ahnung, wo sie sich
befanden. Und immer noch hatten sie diese weit aufgerissenen Augen, als würden
sie von Scheinwerfern geblendet. Yudhi hatte versucht, mit ihnen zu reden, sich
mit ihnen anzufreunden, doch sie besaßen keine gemeinsame Sprache, und sogar
vor ihm hatten sie Angst. Alles und jeder habe ihnen solche Furcht eingeflößt,
meinte er, dass er nicht einmal wisse, ob einer von ihnen je ein Auge zugetan
habe.
Nach einigen Wochen in Haft schickte die Regierung der
Vereinigten Staaten meinen Freund Yudhi - der offensichtlich des Terrorismus
verdächtigt wurde - zurück nach Indonesien. Das war im letzten Jahr. Und ob
man ihn je wieder nach Amerika einreisen lässt, weiß keiner zu sagen. Immer
noch versuchen er und seine Frau zu klären, wie sie ihre Ehe fortführen sollen;
denn von einem Leben in Indonesien hatten sie eigentlich nicht geträumt.
Da sich Yudhi nach seinem Leben in Amerika in den Slums von
Jakarta nicht mehr zurechtfand, ging er nach Bali, in der Hoffnung, sich dort
seinen Lebensunterhalt verdienen zu können, obwohl er als Nichtbalinese in
dieser Gesellschaft nur schwer Aufnahme findet. Die Balinesen können die Javaner
nicht leiden, halten sie für Diebe und Bettler und behandeln sie kaum besser
als ihre Hunde. Folglich stößt Yudhi hier, in seiner Heimat Indonesien, auf
mehr Vorurteile, als er in New York je erlebt hat. Er weiß nicht, was er als
Nächstes tun soll. Vielleicht kommt ja seine Frau Ann, um hier mit ihm zu
leben. Vielleicht aber auch nicht. Denn was hat Bali ihr schließlich zu bieten?
Ihre junge Ehe liegt auf Eis. Er fühlt sich absolut fehl am Platz hier. Im
Grunde ist er mehr Amerikaner als sonst etwas: Yudhi und ich benutzen
denselben Slang, unterhalten uns über unsere Lieblingsrestaurants in New York
und lieben dieselben Filme. Abends kommt er mich in meinem Haus besuchen, ich
kaufe Bier für ihn ein, und er spielt mir auf seiner Gitarre die
erstaunlichsten Songs vor. Ich wünschte, er wäre berühmt. Gäbe es Gerechtigkeit
auf der Welt, dann wäre er längst berühmt.
»Mann«, stöhnt er, »warum ist das Leben nur so verrückt?«
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»Ketut, warum ist das Leben nur so verrückt?«, fragte ich
meinen Medizinmann am nächsten Tag.
»Bhuta ia, dewa ia«, erwiderte
er.
»Was heißt das?«
»Der Mensch ist ein Dämon, der Mensch ist ein Gott. Beide
wahr.«
Eine Vorstellung, die mir durchaus vertraut war. Sehr indisch,
sehr yogisch. Der Gedanke, dass wir Menschen geboren werden mit demselben
Potenzial für Kontraktion und Expansion. Die Ingredienzen für Licht und
Finsternis sind in jedem von uns gleichermaßen vorhanden, und es liegt am
Einzelnen (der Familie oder der Gesellschaft), zu entscheiden, was realisiert
wird: die Tugenden oder die Laster. Der Wahnsinn dieses Planeten resultiert
hauptsächlich aus der Unfähigkeit des Menschen, in sich selbst ein tugendhaftes
Gleichgewicht herzustellen. Das Ergebnis ist (kollektiver wie individueller)
Wahn.
»Was also können wir gegen die Verrücktheit dieser Welt
ausrichten?«
»Nichts.« Ketut lachte, doch es war ein gütiges Lachen.
»So ist Welt. So ist Schicksal. Mach nur Sorgen über eigene Verrücktheit - dann
du in Frieden.«
»Aber wie sollen wir Frieden in uns selbst finden?«, fragte
ich.
»Meditation«, antwortete er. »Ziel von Meditation nur
Glück und Frieden - ganz einfach. Heute ich zeige dir neue Meditation, macht
dich noch bessere Mensch. Heißt Vier-Brüder-Meditation.«
Ketut fuhr fort und erklärte, dass nach dem Glauben der
Balinesen jeder von
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