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Gilbert, Elizabeth

Gilbert, Elizabeth

Titel: Gilbert, Elizabeth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Love Pray Eat
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Yudhi aber
freundete sich - typisch für ihn - mit allen an und wurde so zu einer Art
Mittler zwischen den beiden Lagern asiatischer Arbeiter. Er fand zwischen den
Zimmermädchen, Wächtern und Küchengehilfen, die endlos schufteten, um
vielleicht hundert Dollar pro Monat an ihre Familien zu schicken, mehr
Gemeinsamkeiten als Unterschiede.
    Als das Kreuzfahrtschiff zum ersten Mal New York anlief,
blieb Yudhi die ganze Nacht wach, kauerte mit hämmerndem Herzen auf dem
Oberdeck und betrachtete die Skyline der Stadt. Stunden später ging er von Bord
und hielt - wie im Film - ein yellow cab an. Als
der aus Afrika eingewanderte Taxifahrer ihn fragte, wohin er wolle, antwortete
Yudhi: »Überallhin, Mann - fahr einfach los. Ich will alles sehen.« Wenige
Monate später lief das Schiff erneut in New York ein, und diesmal ging er für
immer von Bord. Sein Vertrag mit der Kreuzfahrtlinie war erfüllt, und jetzt
wollte er in Amerika leben.
    Er landete - ausgerechnet - im vorstädtischen Jersey City,
wo er eine Weile bei einem Indonesier wohnte, den er auf dem Schiff kennen
gelernt hatte. Im Sandwichladen eines Einkaufszentrums fand er einen Job -
wieder zehn bis zwölf Stunden Maloche nach Immigrantenart, wobei er diesmal mit
Mexikanern statt Filipinos arbeitete. Während dieser ersten Monate lernte er
mehr Spanisch als Englisch. In seinen seltenen freien Stunden fuhr Yudhi mit
dem Bus nach Manhattan, nur um durch die Straßen zu schlendern, und war immer
noch völlig hingerissen von dieser Stadt - einer Stadt, die er heute als den
Ort bezeichnet, »an dem es auf der ganzen Welt die meiste Liebe gibt«.
Irgendwie stieß er dann in New York auf eine Gruppe von jungen Musikern aus
aller Welt und schloss sich ihnen als Gitarrist an. Nächtelang zogen die
begabten jungen Leute aus Jamaika, Afrika, Frankreich und Japan durch die Bars
und Konzertsäle und musizierten ... Auf einem dieser Gigs lernte er Ann kennen:
eine hübsche blonde Bassistin aus Connecticut. Sie verliebten sich. Sie heirateten.
Sie fanden eine Wohnung in Brooklyn, lebten umringt von tollen Freunden, mit
denen sie gemeinsame Autotouren bis hinunter auf die Florida Keys machten. Das
Leben war unglaublich schön. Sein Englisch war bald perfekt. Er spielte mit
dem Gedanken, aufs College zu gehen.
    Am 11. September beobachtete Yudhi von Brooklyn aus den
Einsturz der Zwillingstürme. Und war wie gelähmt vor Kummer über das Unglück
seiner Stadt - wie konnte jemand der Stadt »mit der meisten Liebe auf der
ganzen Welt« etwas so Abscheuliches, Grauenhaftes antun? Ich weiß nicht, wie aufmerksam
Yudhi anschließend die Politik des amerikanischen Kongresses mitverfolgte, der
als Reaktion auf die terroristische Bedrohung den Patriot
Act verabschiedete - ein Gesetzesbündel, das unter anderem
strenge Vorschriften beinhaltete, die sich auf Einwanderer aus islamischen
Ländern, wie zum Beispiel Indonesien, bezogen. Eine dieser Bestimmungen
verlangte, dass sich alle indonesischen Bürger, die sich in Amerika aufhielten,
bei den neu eingerichteten Behörden für Heimatschutz registrieren ließen.
Während Yudhi und seine jungen indonesischen Freunde noch überlegten, was zu
tun sei - viele hatten ihre Visa ablaufen lassen und fürchteten, dass man sie,
wenn sie sich meldeten, ausweisen würde -, klingelten bereits die Telefone.
Andererseits hatten sie aber auch Angst, sich nicht zu melden, da sie sich in diesem
Falle wie Kriminelle verhielten. Yudhi beschloss, sich registrieren zu lassen,
einfach weil er ehrlich sein wollte. Er war mit einer Amerikanerin verheiratet,
wollte seinen Aufenthaltstitel erneuern lassen und amerikanischer Staatsbürger
werden. Er wollte sich nicht verstecken.
    Gemeinsam mit Ann konsultierte er alle möglichen Anwälte,
keiner aber wusste, wozu er ihnen raten sollte. Vor dem 11. September hätte es
keine Probleme gegeben: Da Yudhi inzwischen verheiratet war, hätte er einfach
zur Einwanderungsbehörde gehen und sein Visum erneuern lassen können, um dann
das Einbürgerungsverfahren in Gang zu setzen. Jetzt aber? In ihrer Ratlosigkeit
gingen Yudhi und seine Frau zur Einwanderungsbehörde, fanden einen netten
Beamten und erzählten ihm ihre Geschichte. Man teilte ihnen mit, dass Yudhi am
selben Nachmittag zu einem »zweiten Gespräch« zurückkommen solle. Und da
hätten sie misstrauisch werden müssen ... Yudhi wurde strikt angewiesen, sich
ohne seine Frau, ohne Rechtsanwalt und mit leeren Taschen einzufinden. Aufs
Beste hoffend, kehrte er

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