Gilbert, Elizabeth
dessen Eigentum geworden wäre. In
allen wichtigen Belangen meines Lebens hätte ich kaum etwas zu sagen gehabt.
Und hätte damals ein Mann um mich geworben, hätte mein Vater ihn mit
unzähligen Fragen überschüttet, um zu ermitteln, ob er eine angemessene Partie
für mich sei. »Wie willst du für meine Tochter sorgen?«, hätte er etwa wissen
wollen. »Welchen Ruf genießt du in der Gemeinde? Wie steht es mit deiner Gesundheit?
Wo willst du mit ihr leben? Wie viele Schulden hast du und über welche
Vermögenswerte kannst du verfügen? Was hast du ihr charakterlich zu bieten?«
Mein Vater hätte (falls er ein liebevoller Vater gewesen wäre) auch genauestens
erwogen, ob ich für die Ehe vorbereitet war - alt genug, reif genug. Und nie
hätte mich mein Vater aufgrund der bloßen Tatsache, dass ich mich in den
Burschen verliebt hatte, diesem zur Frau gegeben. Im modernen Leben jedoch war
mein moderner Vater an meinem Heiratsentschluss gänzlich unbeteiligt. Und
mischte sich in meine Entscheidung ebenso wenig ein, wie er mir meine Frisur
vorschrieb.
Ich sehne mich nicht nach dem Patriarchat, das dürfen Sie
mir glauben. Allerdings ist mir klar geworden, dass die Schutzfunktionen dieses
zu Recht demontierten gesellschaftlichen Systems durch nichts ersetzt wurden.
Und damit will ich sagen: Ich selbst hätte nie daran gedacht, einen meiner
Verehrer mit denselben herausfordernden Fragen zu konfrontieren, die ihm zu
einer anderen Zeit mein Vater gestellt hätte. Aus Liebe habe ich mich viele
Male hingegeben, und einzig und allein um der Liebe willen. Will ich jedoch
eine wirklich autonome Frau werden, so muss ich mein eigener Beschützer, mein
eigener Vormund werden. Gloria Steinern gab Frauen einst den berühmten Rat, sie
sollten sich bemühen, so zu werden wie die Männer, die sie immer hatten
heiraten wollen. Erst seit kurzem aber ist mir klar, dass ich nicht nur mein
eigener Ehemann, sondern auch mein eigener Vater sein muss. Und auch deswegen
habe ich mich in dieser Nacht allein zu Bett geschickt. Weil es mir einfach zu
früh erschien, einen Bewerber zu empfangen.
Und nach meinem Nein erwachte ich gegen zwei Uhr früh mit
einem schweren Seufzer und einem physischen Hunger, der so heftig war, dass ich
keine Ahnung hatte, wie ich ihn stillen sollte. Der irre Kater, der bei mir
haust, erhob aus irgendeinem Grund ein lautes Geschrei, und ich sagte zu ihm:
»Ich weiß genau, wie's dir geht.« Irgendetwas musste ich gegen mein Verlangen
unternehmen, also stand ich auf, tappte im Nachthemd in die Küche, schälte ein
Pfund Kartoffeln, kochte sie, schnitt sie in Scheiben, briet sie in Butter,
salzte sie kräftig und aß sie restlos auf - wobei ich meinen Körper die ganze
Zeit anflehte, die Befriedigung durch ein Pfund gebratene Kartoffeln doch
bitte anstelle der sexuellen Befriedigung zu akzeptieren.
Erst nachdem ich das Essen restlos vertilgt hatte, erwiderte
mein Körper: »Kommt nicht in Frage, Schätzchen.«
Also kletterte ich wieder ins Bett und begann zu ...
Tja. Erlauben Sie mir ein paar Worte zur Masturbation.
Zuweilen ist sie ja ein handliches (verzeihen Sie) Mittel, zu anderen Zeiten
aber so überaus unbefriedigend, dass man sich im Anschluss daran nur noch
mieser fühlt. Nach eineinhalb Jahren der Enthaltsamkeit, in denen ich immer
wieder in meinem Einzelbett meinen eigenen Namen gestöhnt hatte, war ich diesen
Sport allmählich satt. In dieser Nacht allerdings, in meinem rastlosen Zustand
- was konnte ich da anderes tun? Die Kartoffeln hatten nicht gewirkt. Also kapitulierte
ich und besorgte mir's mal wieder selbst. Wie üblich blätterte ich dabei im
Geiste einen Berg erotischer Vorlagen durch und suchte nach der passenden
Fantasie oder Erinnerung, die dazu beitragen würde, die Sache schnellstmöglich
zu Ende zu bringen. An diesem Tag jedoch schien wirklich gar nichts zu fruchten
- weder die Feuerwehrleute noch die Piraten, noch die perverse alte
Bill-Clinton-Stand-by-Szene, mit der es gewöhnlich klappte, ja nicht einmal die
viktorianischen Herren, in ihrem Salon und mit ihrer Taskforce geschlechtsreifer
Nymphchen, halfen. Am Ende war ich erst zufrieden, als ich mir widerwillig den
Gedanken gestattete, mein guter brasilianischer Freund steige mit mir in
dieses Bett und schließlich auf mich ...
Danach schlief ich ein. Ich erwachte bei blauem Himmel.
Immer noch verstört und unausgeglichen, verbrachte ich einen großen Teil des
Morgens mit dem Chanten der gesamten hundertzweiundachtzig Sanskritverse der
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