Gilbert, Elizabeth
ich
zögerte. Und zwar, weil - sosehr ich es auch genießen mochte, mich für eine
Weile den Händen eines erfahrenen Liebhabers zu überlassen - eine andere
Stimme in mir ernsthaft verlangte, dass ich dieses ganze Jahr meiner Reise mir
selbst widme. Dass Alleinsein im Grunde das ist, was ich jetzt brauche. Dass
sich eine wichtige Veränderung in meinem Leben vollzieht, und diese
Transformation Zeit und Raum benötigt, damit der Prozess, unbeeinträchtigt
auch von der geringsten Störung in Form von Sex oder Romantik, zu seinem Ende
gelangen kann. Dass ich sozusagen der Kuchen bin, der gerade aus dem Ofen
geholt wurde und noch ein wenig Zeit braucht, um abzukühlen, ehe man ihn mit
einer Glasur überzieht. Ich will mich nicht um diese kostbare Zeit betrügen.
Will nicht, dass mir mein Leben gleich wieder entgleitet.
Natürlich sagte Felipe, dass er mich verstehe, dass ich
tun solle, was am besten für mich sei, und dass er hoffe, ich würde ihm
verzeihen, dass er die Frage überhaupt aufs Tapet gebracht habe. (»Früher oder
später musste ich dich fragen, Darling.«) Und er versicherte mir, dass wir -
wie immer meine Entscheidung ausfalle - unsere Freundschaft aufrechterhalten
würden, da diese gemeinsam verbrachte Zeit ja uns beiden so gut zu tun scheine.
»Aber«, fuhr er fort, »nun musst du mich auch meine Sicht
darlegen lassen.«
»Das ist nur recht und billig«, sagte ich.
»Wenn ich dich recht verstehe, geht es in diesem Jahr
darum, das Gleichgewicht zwischen Hingabe und Vergnügen zu finden. Ich sehe
zwar, dass du eine Menge religiöser Übungen gemacht hast, aber mir ist nicht
ganz klar, wo das Vergnügen geblieben ist.«
»Ich habe in Italien eine Menge Pasta gegessen, Felipe.«
»Pasta, Liz? Pasta?«
»Ja.«
»Zum anderen meine ich zu wissen, worum du dir Sorgen
machst. Du glaubst, irgendein Mann könnte in dein Leben eindringen und dir
wieder alles wegnehmen, alle möglichen Komplikationen verursachen. Ich will dir
das nicht antun, Darling. Auch ich bin schon lange allein, auch ich habe durch die
Liebe viel verloren, genau wie du. Ich will nicht, dass wir uns gegenseitig
etwas wegnehmen. Nur habe ich nie jemandes Gesellschaft so genossen wie deine
und wäre gern mit dir zusammen. Ich werde dir keinen Ärger bereiten. Mach dir
darum keine Sorgen - ich werde dir nicht nach New York folgen, wenn du im
September abreist. Und zu den Gründen, die du mir unlängst genannt hast, warum
du dir keinen Liebhaber nimmst... Tja, sieh's doch mal so: Mir ist es egal, ob
du dir jeden Tag die Beine rasierst. Ich liebe deinen Körper auch so, deine
Lebensgeschichte hast du mir ohnehin schon erzählt, und um Verhütung brauchst
du dir keine Sorgen zu machen - ich bin sterilisiert.«
»Felipe«, sagte ich, »das ist das verlockendste und romantischste
Angebot, das mir je ein Mann gemacht hat.«
Und es stimmte. Und dennoch sagte ich Nein.
Er brachte mich nach Hause, parkte vor meinem Haus. Wir
tauschten ein paar süße, salzige, sandige Küsse. Schön war's. Natürlich war es
schön. Aber trotzdem - und wieder sagte ich Nein.
»Schon in Ordnung, Darling«, meinte er. »Aber komm morgen
zum Abendessen zu mir, ich mach dir ein Steak.«
Dann fuhr er davon, und ich ging allein zu Bett.
Was Männer angeht, habe ich mich immer sehr schnell
entschieden. Habe mich immer rasch und ohne Risiken zu bedenken verliebt. Ich
neige nicht nur dazu, in jedem das Beste zu sehen, sondern auch zu der
Überzeugung, jeder sei emotional in der Lage, sein Potenzial voll auszuschöpfen.
In das Potenzial eines Mannes hab ich mich schon öfter verliebt, als ich
wahrhaben will, in sein Potenzial statt in ihn selbst, und dann lange (manchmal
viel zu lange) darauf gewartet, dass der Bursche seine eigene Größe
realisiert. Romantisch verblendet, wurde ich häufig Opfer meines eigenen
Optimismus.
Ich heiratete jung und ohne groß zu überlegen, verliebt
und hoffnungsvoll; vom Eheleben jedoch und von dem, was es bedeutet, war nie
viel die Rede. Niemand gab mir Ratschläge. Meine Eltern hatten mich zu einem
selbstständigen Wesen erzogen, das für sich selbst aufkam und entschied. Seit
ich vierundzwanzig war, nahmen alle an, dass ich in der Lage war, allein und
autonom meine Entscheidungen zu treffen. Natürlich war die Welt nicht immer
so. Wäre ich in einem früheren Jahrhundert des westlichen Patriarchats zur Welt
gekommen, hätte man mich als Eigentum meines Vaters betrachtet, bis er mich an
einen Gatten abgetreten hätte und ich dann
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