Gilbert, Elizabeth
aus den
Vereinigten Staaten redeten und ich ihn fragte, was er am meisten vermisse. Neben
seiner Frau und Manhattan fehlte ihm am meisten das Autofahren - einfach mit
ein paar Freunden in den Wagen zu steigen und über die endlosen amerikanischen
Highways zu brausen. »Okay«, sagte ich zu ihm, »dann lass uns hier auf Bali
eine Reise im amerikanischen Stil machen.«
Das war uns beiden unwiderstehlich komisch erschienen - weil
eine solche Reise auf Bali völlig undenkbar ist. Zunächst einmal gibt es auf
einer Insel von der Größe Delawares keine gewaltigen Entfernungen. Und die
»Highways« sind katastrophal. Gefährlich winden sie sich um Vulkane und durch
den Dschungel, und zu einer geradezu surrealen Gefahr wird das Fahren in
bevölkerten Gegenden durch die verrückte Vorherrschaft einer balinesischen
Version des amerikanischen Familien-Mini-Van - eines kleinen Motorrads, auf
dem sich fünf Personen drängen, wobei der Vater mit der einen Hand lenkt, mit
der anderen (wie einen Fußball) den Säugling hält, während Mutti im knappen
Sarong hinter ihm sitzt, einen Korb auf dem Kopf balanciert und ihre Kleinen
ermahnt, nicht herunterzufallen. Meistens fahren diese Motorräder ohne
Scheinwerfer auf der falschen Straßenseite. Helme werden in der Regel nicht
getragen, sondern - warum, habe ich nie herausgefunden - in den Händen gehalten.
Stellen Sie sich Dutzende dieser schwer beladenen Motorräder vor, die alle
rücksichtslos dahinrasen, sich alle wie in einer Art wahnsinnigem motorisiertem
Maitanz gegenseitig überholen oder einander ausweichen. Ich weiß eigentlich
nicht, warum sich die Balinesen nicht alle längst zu Tode gefahren haben.
Aber Yudhi und ich hatten beschlossen, dennoch einen Wagen
zu mieten und eine Woche lang die Insel zu erkunden und dabei so zu tun, als
wären wir in Amerika, frei und ungebunden. Als wir den Trip vor einem Monat
planten, war ich hellauf begeistert, jetzt aber - da ich mit Felipe im Bett
liege und er meine Fingerspitzen, Unterarme und Schultern küsst und mich zum
Bleiben auffordert - scheint mir der Zeitpunkt unglücklich gewählt. Aber ich muss
gehen. Und in gewisser Weise will ich es auch. Nicht nur, um eine Woche mit
meinem Freund Yudhi zu verbringen, sondern auch, weil ich eine Verschnaufpause
brauche nach meiner langen Nacht mit Felipe, um mich zu sammeln und mich mit
dem Gedanken anzufreunden, dass ich mir - wie es in Romanen so schön heißt - einen
Liebhaber genommen habe.
Also setzt mich Felipe mit einer letzten
leidenschaftlichen Umarmung vor meinem Haus ab, und mir bleibt gerade genug
Zeit, um mich zu duschen und mich zusammenzureißen, ehe Yudhi mit unserem
Mietwagen aufkreuzt. Er wirft mir nur einen kurzen Blick zu und sagt: »Mann,
wann bist du denn gestern heimgekommen?«
»Ich bin gestern nicht heimgekommen, Mann.«
»Mannomann«, sagt er nur, beginnt zu lachen und denkt
wahrscheinlich an das Gespräch, das wir vor etwa zwei Wochen geführt haben und
in dem ich ernsthaft behauptet habe, dass ich möglicherweise mein ganzes Leben
lang mit keinem Mann mehr schlafen würde. »Hast also die Waffen gestreckt,
wie?«, spöttelt er.
»Yudhi«, erwidere ich, »ich will dir mal was sagen. Im
letzten Sommer, kurz vor meiner Abreise aus den Staaten, hab ich meine
Großeltern nördlich von New York besucht. Die Ehefrau meines Großvaters, seine
zweite Frau, ist eine wirklich nette Lady - Gale heißt sie - und inzwischen in
den Achtzigern. Und da schleppt sie ein altes Fotoalbum an und zeigt mir Fotos
aus den dreißiger Jahren, als sie achtzehn war und mit ihren zwei besten
Freundinnen und einer Anstandsdame für ein Jahr nach Europa reiste. Sie blättert
in diesen Alben, zeigt mir die alten Fotos von Italien, und plötzlich stoßen
wir auf das Bild eines wirklich süßen jungen Venezianers. Ich sage: >Gale,
wer ist denn dieser Adonis?< Und sie meint: >Das ist der Sohn der Leute,
denen das Hotel gehörte, in dem wir in Venedig abgestiegen waren. Er war mein
Freund.< - >Dein Freund?<, frage ich sie. Und die niedliche Frau
meines Großvaters guckt plötzlich ganz verschlagen, kriegt sexy Augen wie Bette
Davis und sagt: >Ich hatte das Kirchenbesichtigen satt, Liz.<«
Yudhi hebt die Hand, um mit mir einzuschlagen. »Weiter so,
Mann.«
Wir starten zu unserem »amerikanischen Roadtrip« quer
durch Bali, ich und dieses coole exilierte Musikgenie, und auf der Rückbank
unseres Wagens stapeln sich Gitarren, Bier und das balinesische Pendant
amerikanischer Reisesnacks:
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